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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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genauso idiotisch.“ Sie legte den Kopf schräg. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Als ich in diesem israelischen Gefängnis war. Ich hatte jede Menge Zeit. Eigentlich war es reines Glück, dass sie uns nicht schon während des Überfalls erschossen haben.“
    Nikolaj wusste nicht, worauf sie hinauswollte. Das bereitete ihm Unbehagen.
    „Damals dachte ich, es wäre ein guter Plan.“ Befangen senkte er den Blick und betrachtete die Schatten auf der Bettdecke. „Aber du hast recht.“ Er blickte wieder auf und lächelte. „Wir hätten einfach abhauen und mit Verstärkung wiederkommen sollen.“
    Carmen schwieg einen Moment. Dann bewegte sie sich, ihr Knie berührte für einen zufälligen Moment seinen Oberschenkel.
    „Weißt du, dass ich dich damals richtig süß fand?“
    Nikolaj starrte sie an. Seine Fingerspitzen fühlten sich taub an.
    Ungerührt erwiderte sie seinen Blick.
    „Schade“, brachte er hervor, „dass mir das nicht aufgefallen ist.“ Er holte tief Atem. „Ich weiß nicht ...“
    „Ob sich das geändert hat?“, ergänzte Carmen. Sie beugte sich vor, ihre Finger glitten über seine Schulter und blieben auf seinem Arm liegen. Er spürte, wie sich die Härchen auf seiner Haut unter ihrer Berührung aufrichteten. Unwillkürlich schloss er die Augen.
    „Ja“, flüsterte er. „Das frage ich mich die ganze Zeit.“
    Ihr Haar kitzelte ihn im Gesicht, warm strich ihr Atem über seine Wange. Nikolaj wagte nicht, sich zu bewegen. Dann endlich streckte er einen Arm aus und vergrub seine Finger in ihrem Haar.
    Rafiq schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf. Sein Herz raste ohne ersichtlichen Grund, sein Mund war so trocken, dass es schmerzte. Hastig setzte er sich auf. Er brauchte einen Moment, bis er realisierte, dass Regen gegen die Scheiben prasselte. Sein Nacken und seine Rückenmuskeln fühlten sich steif an. Nach ein paar Sekunden erhob er sich von der Matratze und ging leise in die Küche. Mondlicht fiel durchs Fenster und verwandelte die Dunkelheit in eine Landschaft aus zerklüfteten Schatten. Rafiq drehte den Wasserhahn auf. Er ließ den kalten Strahl minutenlang über seine Handgelenke laufen, dann trank er das Wasser aus den hohlen Händen.
    Allmählich beruhigte sich sein Pulsschlag. Er warf einen Blick auf die Küchenuhr. Die Zeiger standen auf Viertel nach fünf. Er war müde, verspürte aber nicht das Bedürfnis, sich noch einmal hinzulegen. Eine heftige Rastlosigkeit hatte Besitz von ihm ergriffen. Um halb acht würden sie Felix Roth erneut in der Botschaft treffen, aber bis dahin waren es noch zweieinhalb Stunden. Die Warterei fraß an seinen Nerven, jede Minute erschien ihm als Zeitverschwendung.
    Zeit, die sie nicht hatten.
    Er schlüpfte in seine Jeans und ein T-Shirt, dann nahm er die Kataloge und blätterte erneut in den Seiten. Inzwischen hatten sie Markierungen auf alle Bilder geklebt, die den Platz mit der Statue und dem roten Fenster zeigten. Und was, wenn das alles vergeblich war? Wenn dies keine Spur war, sondern nur ein toter Pfad, der sich im Dickicht verlor? Was dann?
    Rafiq nahm einen Stift und den Schreibblock vom Tisch. Er begann noch einmal bei Berlin I. Schrieb jedes Detail auf, das er aus dem Bild herauslesen konnte. Er versuchte einen Grundriss des Ortes zu zeichnen. Wieder wurde ihm klar, wie spekulativ das war.
    Irgendwann gab er grollend auf. Er ging zum Fenster und blieb dort stehen, den Kopf gegen die Scheibe gedrückt. Sein Magen schmerzte, seine Augen brannten. Er dachte an den Zusammenstoß mit Tal und ärgerte sich, dass er die Beherrschung verloren hatte. Tals Sticheleien enthielten einen Funken Wahrheit, und Rafiq tat sich schwer damit, das so offen zuzugeben. Er gestand sich selbst inzwischen ein, dass es für ihn in der Tat nur noch um Carmen ging, alles andere an dem Projekt interessierte ihn nicht mehr. Rafiq fühlte sich auf diffuse Weise schuldig, dass sie Fedorow in die Hände gefallen war. Zeitweise hatte er versucht sich auszumalen, was Fedorow mit ihr anstellen würde. Sicher versuchte er Informationen aus ihr herauszuholen und war in der Wahl der Mittel nicht zimperlich. Wenn es um das eigene Überleben ging, spielte Ritterlichkeit keine Rolle, Rafiq machte sich da nichts vor. Er musste nur in sich selbst hinein horchen, um diese These bestätigt zu finden. In einer Ecke seines Verstandes hoffte er dennoch, dass Nikolaj sich um der alten Zeiten willen zurückgehalten und nicht mehr Brutalität als nötig eingesetzt hatte, aber diese

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