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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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dirigierte Carmen auf den letzten Metern. Sie bogen um eine Ecke und passierten einen offenen Durchgang. Plötzlich öffnete sich der Blick auf den Innenhof mit einem verwitterten Wandelgang. Mondlicht fiel schräg ins Geviert und zeichnete eine Hälfte der Anlage in silbrigen Konturen, während die andere Seite in tiefem Schatten lag.
    Der Anblick war überwältigend, immer wieder. Märchenhaft und surreal. Obwohl Rafiq die Wirkung dieses Ortes kannte.
    „Was ist?“, gluckste Carmen.
    Er nahm die Hand von ihren Augen und trat zur Seite. „Die Überraschung. Wie findest du es?“ Sie war beeindruckt, das konnte er an ihren Augen sehen. „Wahrscheinlich werden wir gleich ein paar verliebte Teenager aufschrecken. Dieser Ort war zu meiner Zeit sehr begehrt für Verabredungen.“
    „Kann ich mir vorstellen.“
    Sie machte ein paar Schritte in den Hof hinein. Ihre Hand strich an einer Fliederhecke entlang. Die kleine Gartenanlage war vollkommen verwildert, aber das machte gerade ihren Reiz aus. Gras wuchs zwischen den zerbrochenen Steinplatten, Trichterwinden und Bougainvilleen überwucherten die Sträucher. An der gegenüberliegenden Wandseite war ein Baum umgestürzt und hatte einen Teil der Überdachung mit sich gerissen. Es sah aus wie ein Stillleben auf einer Leinwand.
    „Wir hätten den Wein mitnehmen sollen“, sagte Carmen. Sie drehte sich einmal um ihre Achse. „Dann könnten wir uns hier hemmungslos betrinken.“
    „Ein Glück, dass ich ein so vorausschauender Mensch bin.“ Rafiq holte die Flasche aus der Innentasche seiner Jacke. Er wusste nicht genau, wo das jetzt hinführte, aber es fühlte sich gut an. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass seine ursprüngliche Absicht gewesen war, Sofia diesen Ort zu zeigen. Sofia war vergessen. Das hier war viel besser. Er breitete sein Jackett im Gras aus und kniete sich auf den Boden, um den Wein zu entkorken.
    „Wo hast du die her?“, fragte Carmen.
    „Aus der Küche, wo sonst?“
    „Du hast nicht noch irgendwo Gläser versteckt?“
    „Man kann nicht alles haben.“ Er roch an dem Bukett. „Hm.“
    Sie lächelte, ihre Augen glänzten. Fast wie früher. Er wartete, bis sie sich hingesetzt hatte und reichte ihr die Flasche.
    „Sa sciorowjc“
, murmelte Carmen. Auf die Gesundheit.
    Ganz wie früher. Es versetzte ihm einen Stich.
    Sie tranken aus der Flasche, immer abwechselnd. Ihre Stimmung driftete ab in vertrauliche Albernheit. Es war der Wein, die Umgebung, die warme Luft, oder vielleicht auch nur eine Reaktion auf die Anspannung, mit der sie den nächsten Schritt erwarteten. Carmen zündete sich eine Zigarette an. Rafiq sah zu, wie sie in langen genussvollen Zügen rauchte. Der Wind trieb ihr eine Haarsträhne in die Stirn und als er diesmal seine Hand danach ausstreckte, wies sie ihn nicht zurück. Seine Finger verharrten nahe an ihrem Gesicht, und als sie sich nicht regte, folgten sie der Kinnlinie, hinunter zu ihrem Hals. Seine Finger zitterten leicht.
    Carmen blies den Rauch durch die Nase und drückte den Zigarettenrest auf dem Boden aus. Sie drehte den Kopf ein wenig und sah ihn an, ihr Gesicht eine schweigende Maske.
    „Wir sind erwachsene Menschen, nicht wahr?“
    „Was?“, fragte er irritiert.
    „Das bedeutet, wir können uns morgen noch in die Augen sehen und so tun, als wäre nichts geschehen.“
    „Was immer du willst.“ Seine Stimme klang heiser.
    Ihr Mund verzog sich zu einem winzigen Lächeln.
17 Tripoli | Libanon
     
    Wäscheleinen überspannten die flachen Dächer. Zwischen Balkonen waren sie gezogen, über Straßenzüge hinweg, wanden sich zwischen Strommasten und Satellitenschüsseln hindurch, und sprenkelten das graue und ockerfarbene Mauerwerk mit leuchtenden Farben.
    Es war Mittag und aus den Lautsprechern quäkte der Singsang der Muezzine. Allah akbah – Allah ist groß. Hitze ließ das Panorama zu Nikolajs Füßen verschwimmen. Der Verkehrslärm war unten in den Straßen zurückgeblieben, ebenso wie die betriebsame Hektik und der Gestank der Abgase. Hier oben war nur die Hitze, das harte Mittagslicht und das Zirpen der Grillen auf dem grasbewachsenen Abhang, aus dem die alten, vielfach erneuerten Mauern von Qala’at Sanjil, der Zitadelle von Tripoli emporwuchsen.
    Nikolaj hatte sich im dürftigen Schatten eines der Wehrtürme niedergelassen. Der Wall war gut zwei Meter breit und bequem begehbar. Brusthohe Zinnen bewehrten die Mauerkrone zur Außenseite. Es war ruhig hier oben. Ein paar Meter entfernt kletterten

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