Das dunkle Fenster (German Edition)
an ihm vorbei“, erwiderte Katzenbaum. „Bis zum Casablanca, da setzt du dich an die Bar und wartest.“
Lautes Hupen mischte sich in Samis Atemgeräusche. „Ich glaube, er studiert die Karte. Okay, noch zwanzig Meter. Fünfzehn ...“
Carmen klickte sich ziellos durch die News auf der Yahoo-Startseite. Neben ihr stand eine Cola Light. Ein paar Jugendliche spielten mit aufgesetzten Kopfhörern. Im Fernsehen lief Nancy Ajram auf dem arabischen MTV-Ableger. Carmen versuchte sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren. Sie spürte bereits das bekannte Kribbeln im Magen. Das war Adrenalin, die Aufregung, die immer am Beginn einer Operation stand. Und es war mehr als das.
Auch wenn sie wusste, dass Rafiq das nicht gefallen hätte, dieser spezielle Moment unterschied sich von anderen Momenten vor einem Erstkontakt. Carmen knüpfte diffuse Erwartungen an das Aufeinandertreffen. Es fühlte sich beinahe wie Vorfreude an. Das hatte sie lange ausgelotet, schon an den Abenden zuvor, als sie im Bett lag, und die Finsternis ihr die Illusion privater Abgeschiedenheit gab. Angst spielte nur eine untergeordnete Rolle. Sie fürchtete sich nicht. Sie trat nicht Fabio gegenüber, sondern Nikolaj Fedorow, dem stillen russischen Jungen, an den sie beinahe mal ihr Herz verloren hatte.
„Er geht weiter“, sagte Sami. „Er biegt nach links ab.“
„Das ist eine Sackgasse“, gab Katzenbaum zurück. „Da gibt’s keine weiteren Restaurants.“
„Ich stehe jetzt vor der Karte des L’Okzidente. Was soll ich machen?“
„Such dir einen Ecktisch draußen, von dem aus du die Straße einsehen kannst und bestell dir was zu Essen.“
„Was, wenn er nicht zurückkommt?“
„Er wird zurückkommen. Da vorn geht’s nicht weiter.“
„Was ist?“, fragte Rafiq vom Rücksitz.
„Er sucht ein Restaurant“, sagte Katzenbaum. „Wir wissen nur noch nicht, welches.“
„Was war das mit der Sackgasse?“
Lev schüttelte den Kop£ „Die Straße ist dort zu Ende. Er muss umdrehen.“
„Was, wenn er einfach den Weg ganz zurückgeht?“
„Dann haben wir ein Problem“, sagte Katzenbaum.
„Liebling“, tönte es aus dem Handy, „wie lange brauchst du noch?“ Sami sprach Französisch mit einem leichten Akzent.
Pause.
„Ist er im L’Okzidente?“, fragte Katzenbaum.
„Gerade angekommen.“
„Antworte einfach mit Ja oder Nein. Ein Außentisch?“
„Nein.“
„Kannst du sehen, wo er sich hingesetzt hat?“
„Ja, mehr oder weniger.“
„Vorn bei der Bar?“
„Ja.“
„Zweiertisch?“
„Ja.“
„Ist es sehr voll?“
„Nein, gar nicht.“
„Okay, bleib einfach da, bestell einen Salat.“
„Einverstanden, Schatz. Aber du weißt, ich hasse es, allein zu essen. Ich möchte nicht, dass du deinem Chef stets mehr Aufmerksamkeit schenkst als mir.“ Pause. „Ja, ich liebe dich trotzdem. Bis nachher. Salute.“ Die Leitung war unterbrochen.
Katzenbaum wählte die Nummer des Lokals und änderte die Reservierung, die auf den Namen Carmen Arndt lief. Er erbat sich einen Tisch in der Nähe der Bar und erklärte, dass sie in spätestens einer halben Stunde eintreffen würden.
Am Empfang des L’Okzidente stand ein elegant gekleideter junger Mann. Er winkte einem Kellner, als Carmen ihren Namen nannte. Sofort wurde sie zu einem Tisch in einer abgetrennten Nische geleitet. Tal, der bereits auf sie wartete, erhob sich und reichte ihr mit einer kleinen Verbeugung die Hand. Sie waren jetzt vollkommen in ihre Rollen eingetaucht, obwohl Carmen den Mann, für den sie ihren Auftritt inszenierten, noch gar nicht gesehen hatte. Ihr Blick flog über den Raum, aber sie entdeckte keinen Gast, der einzeln an einem Tisch saß.
Der Kellner erschien ein zweites Mal, um die Karten zu bringen und Bestellungen für die Getränke aufzunehmen. Carmen bedeutete ihm, dass sie mit dem Essen noch warten würden, bis ihre Gesellschaft vollständig versammelt war.
Die Tür zu den Toiletten lag in Carmens Blickrichtung, nur halb verdeckt durch eine Säule. Ein Mann tauchte dort auf und lief den breiten Mittelgang hinunter bis zu einem leeren Tisch, der auf dem etwas erhöhten Bereich vor der Bar stand. Carmen beobachtete ihn unter gesenkten Wimpern. Als er sich auf seinen Platz setzte und nach einer Zeitung griff, war sie plötzlich ganz sicher. Er war die Zielperson, er musste es sein. Ein Hauch Anspannung schlich sich in ihre Stimme, während sie versuchte, ihr Gespräch mit Tal fortzusetzen.
Tal runzelte leicht die Stirn. Er
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