Das dunkle Fenster (German Edition)
nicht wieder auf. Nikolaj entspannte sich etwas, als die ersten Häuser von Zgharta auftauchten. Er hielt an einer Kreuzung und bog rechts ab, als die Ampel auf Grün sprang. Nach kurzer Zeit schwamm er im dichten Nachmittagsverkehr. Er warf einen schnellen Blick nach hinten, zu Carmen, die immer noch bewegungslos unter der Decke lag. Aber das war kein Grund zur Beunruhigung. Der Schlag war heftig gewesen und es konnte noch Stunden dauern, bis sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte.
Nikolaj passierte eine Reihe weiterer Kreuzungen, bog ein paar Mal ab und parkte den Taurus schließlich in einer schmalen Seitengasse zwischen umgestürzten Mülltonnen und einem rostigen Container. Er schob seine Tasche unter den Beifahrersitz, verstaute die Beretta hinten in seinem Hosenbund und stieg aus dem Wagen. Hitze umfing ihn. Die Luft staute sich flimmernd über der Stadt, kein Windzug regte sich. Es roch nach verfaultem Gemüse, Ö1 und Abgasen. Verkehrslärm wehte von der Hauptstraße hinüber.
Nikolaj öffnete den hinteren Wagenschlag und zog die Decke über Carmens Kopf. Er warf einen prüfenden Blick durch die Seitenscheibe, dann schloss er das Fahrzeug ab. Die Hauptstraße war laut und staubig, zwischen den Ampeln staute sich endlos der Verkehr. Nikolaj drängte sich zwischen den stehenden Autos hindurch auf die andere Straßenseite.
Zuerst steuerte er einen Supermarkt an und besorgte dort Lebensmittel, eine Schere, Haarfarbe und Kabelbinder. Ein Stück die Straße hinunter fand er ein Waffengeschäft. Er kaufte ein Messer mit feststehender Klinge und Neun-Millimeter-Munition für die Beretta. Zuletzt erwarb er in einem kleinen Stoffladen einen Hedschab, den traditionellen Ganzkörperschleier, der von einigen strenggläubigen muslimischenFrauen auch im Libanon immer noch getragen wurde. Auf dem Rückweg zum Wagen beschäftigte er sich zum ersten Mal mit der Frage, wie es weitergehen sollte. Er fragte sich, wer die Männer mit den Jeeps gewesen waren.
Mossad? Wie konnten die in der kurzen Zeit ein so großes Aufgebot an Leuten stellen? Noch dazu auf feindlichem Territorium? Der Libanon war Sperrgebiet für israelische Agenten. Wurden sie von den staatlichen Behörden erwischt, drohte ihnen die Hinrichtung.
Nein. Unwahrscheinlich. Der Mossad konnte eine Operation dieser Größe hier nicht riskieren.
Aber wer dann? Oder sah er schon wieder Geister? Ging seine Paranoia mit ihm durch? Waren diese Wagen überhaupt hinter ihm her gewesen?
Verdammt, er wusste es nicht. Er musste es annehmen, ja. Alles andere ergab wenig Sinn. Sie waren dort gewesen, weil jemand sie geschickt hatte. Nach Hawqa, wo er kurze Zeit vorher einen israelischen Agenten außer Gefecht gesetzt hatte. Aber wer hatte da so schnell reagiert?
Das Gefühl scheinbarer Sicherheit verschwand. Es war, als ob der Boden unter seinen Füßen schwankte. Zum Verrücktwerden. Für einen Moment hatte er wirklich geglaubt, im Vorteil zu sein. Weil er seinen Feind nun kannte, weil er wusste, wer hinter ihm her war. Wer folgte sonst noch seiner Fährte?
Nikolaj bog in die kleine Seitenstraße, in der er den Taurus geparkt hatte. Carmen hatte sich noch immer nicht bewegt. Er überprüfte ihren Atem und die Pupillen unter den geschlossenen Lidern. Sie reagierte nicht.
Sie brauchten einen Rückzugsort. Er musste Carmen erneut befragen. Wenn jemand ihm erklären konnte, was hier vorging, dann war sie es.
Nikolaj stieg in den Wagen und zog die Tür hinter sich zu. Er ließ den Motor an und stieß ein Stück zurück, dann fuhr er vorwärts aus der Parklücke. Von Zgharta aus gab es zwei Richtungen, in die er sich wenden konnte. Im Nordwesten, nur etwa zwanzig Kilometer entfernt, lag Tripoli. Eine große Stadt mit einem Hafen, in der man sicher leicht untertauchen konnte. Allerdings würden seine Verfolger wahrscheinlich annehmen, dass er sich nach Tripoli wandte. Es war eine logische Entscheidung. Denn was hatte er an Alternativrouten?
Zurück nach Hawqa konnte er nicht. Es gab allerdings noch eine Strecke, die von Zgharta aus nach Norden führte, bis hoch in den kleinen Ort Ardeh. Von dort aus konnte man über ein Netz kleiner und schlecht ausgebauter Straßen die Berge durchqueren, bis man Hermel im äußersten Norden der Bekaa-Ebene erreichte.
Dann bestand die Möglichkeit, in Richtung Baalbek weiterzufahren oder die Grenze nach Syrien zu überqueren. Nikolaj lächelte schmal, als er den Motor anließ. Das war ein guter Plan. Damit würden sie kaum rechnen.
Als
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