Das dunkle Labyrinth: Roman
und von dort weiter ostwärts verfolgt«, bestätigte Runcorn, ohne Monk auch nur einen Blick zuzuwerfen. »Es ist nur so, dass der Kutscher ihn nur einmal kurz anschaute und sich wohl auch nicht allzu gut darauf versteht, Leute zu beschreiben. Wenn Ihnen also noch irgendetwas anderes an diesem Mann einfiele, wäre uns damit sehr geholfen.«
Sie überlegte angestrengt und versank für einen langen Augenblick ganz in sich selbst. Unwillkürlich erschauerte sie, als würde ihr erst jetzt bewusst, was damals weniger als hundert Meter von ihr entfernt geschehen war. Runcorns Augen war abzulesen, wie sehr er sie bewunderte, aber es war ihre Verletzlichkeit, ihre Traurigkeit, die ihn in ihren Bann zog. Monk wusste das, weil es ihm schon beim letzten Mal aufgefallen war und er Runcorn besser kannte, als dieser ahnte. Runcorn hatte etwas Weiches an sich, was er früher nie zugelassen hatte, eine Fähigkeit, Mitgefühl zu zeigen, die er sich erst jetzt zugestand.
Oder war etwa Monk derjenige, der erst spät das Einfühlungsvermögen entwickelt hatte, das es ihm erlaubte, so etwas zu bemerken?
Mrs. Ewart beantwortete die Frage so konzentriert und präzise, wie sie nur konnte. »Er hatte ein langes Gesicht. Eine schmale Nase zwischen dichten Brauen und verhältnismäßig große Augen.« Plötzlich sog sie scharf die Luft ein. »Sie waren ganz hell!«, rief sie verblüfft. »Seine Haut war ziemlich dunkel, und sein Haar, das nicht bis zum Kragen reichte, war schwarz – zumindest wirkte es so im Licht der Straßenlaterne. Und die Augenbrauen auch. Aber die Augen waren hell – blau oder grau. Blau, glaube ich. Und … seine Zähne...« Sie erschauerte, und ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, als wolle sie sich für eine dumme Feststellung entschuldigen. »Und seine Eckzähne waren ungewöhnlich spitz. Er grinste, als er mir den … Fleck erklärte. Kann …« Sie schluckte. »Kann das das Blut des armen Mr. Havilland gewesen sein?« Sie sah Runcorn fragend an und wartete auf eine Reaktion, obwohl es undenkbar war, dass diese ihr etwas bedeuten würde. Und doch konnte sich Monk nicht des Eindrucks erwehren, dass es so war. Hatte auch sie Runcorns Sanftmut bemerkt? Oder brauchte sie einfach nur das Gefühl, dass jemand das Entsetzen verstand, das sie empfand?
Es verblüffte Monk und war ihm zugleich peinlich, dass er Runcorn so gern beschützen wollte, dass er diesen unvermuteten, unmöglichen Traum, den sein Kollege endlich erwachen fühlte, mit jeder Faser seines Herzens mitempfand. Er spürte eine höchst ungewöhnliche Mischung aus Zorn, Ungeduld und Verletzlichkeit in sich, Gefühle, die er nicht eindeutig benennen konnte und die er noch vor einem Jahr vehement in Abrede gestellt hätte.
Runcorn bedankte sich bei Mrs. Ewart, ließ aber immer noch nicht locker. Zog er das Verhör vielleicht bewusst in die Länge? Nun fragte er nach, ob ihr an den Kleidern des Mannes etwas aufgefallen wäre. Hatte er Handschuhe getragen? Nein. Hatte sie auf seine Hände geachtet? Kräftig und schmal. Stiefel? Sie hatte keine Ahnung. Runcorn gab ihr seine Karte. Wenn ihr etwas einfiele, sollte sie einfach nach ihm schicken.
Sie bedankten sich bei ihr und gingen. Monk hatte kaum ein Wort gesagt. Draußen in der klaren Luft, im eisigen Wind abseits des Flusses, richtete Runcorn die Augen starr nach vorn und wich Monks Blick beharrlich aus. Es hatte keinen Sinn, eine Kommunikation zu erzwingen, wo keine nötig war. Später konnten sie immer noch ihre nächsten Schritte erörtern. Sie trotteten nebeneinander her, die Köpfe eingezogen, die Kragen gegen die Kälte hochgeschlagen.
Die einzigen Anhaltspunkte, mit denen Monk beginnen konnte, waren der Charakter und die Möglichkeiten des Mannes, der den Mörder bezahlt hatte.
War es Alan Argyll, der den Mörder angeheuert hatte, oder Toby? Oder war doch Sixsmith derjenige, der als Erster Kontakt mit ihm aufgenommen hatte?
Wie auch immer, dieser Ansatz bot sich an. Monk konnte die Tosher ansprechen, die die Abwasserkanäle nach verlorenen Wertsachen durchkämmten. Daneben gab es die sogenannten »Gangers«, die die Reinigungstrupps durch den Untergrund lotsten, damit diese den in den engeren Kanälen aufgestauten Schlick beseitigen konnten. Allerdings würde es bei Letzteren noch eine Weile dauern, bis ihre Dienste wieder benötigt wurden, sodass sie gegenwärtig in alle Himmelsrichtungen verstreut waren.
Monk war zu Fuß zu einer der Kanalbaustellen unterwegs, als Scuff ihn einholte. Der
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