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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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morgen ertrunken als heute verhungert.«
    »Ich werde tun, was in meiner Macht steht«, versprach Rathbone. »Aber noch habe ich keine Vorstellung davon, wie sich der Fall des schuldigen Argyll von dem des vergleichsweise schuldfreien Sixsmith trennen ließe. Ganz zu schweigen von Argylls Frau, die zweifellos Angst davor hat, die Wahrheit über ihren Mann zu akzeptieren, und zudem die Bloßstellung vor der Öffentlichkeit und den Verlust ihres Hauses fürchtet. Und dann gilt es, auch den Abgeordneten Applegate zu bedenken, der Argyll den Vertrag gegeben hat, und all die völlig unschuldigen Arbeiter, die die Maschinen bedienen. Nicht zu vergessen Superintendent Runcorn, der die ursprünglichen Ermittlungen zu Havillands Tod geleitet hat und dann bezichtigt werden wird, ihn fälschlicherweise als Selbstmord bezeichnet und die Akte vorschnell geschlossen zu haben. Sind Sie bereit, sie alle in ein Verfahren mithineinzuziehen, in dem man sie mit echten Verbrechern über einen Kamm scheren wird? Mitgefangen, mitgehangen!«
    »Nein«, murmelte Monk kleinlaut, »das bin ich nicht.«
    »Nun«, fuhr Rathbone fort, »letztlich könnten Sie vor der Wahl stehen, sie zwar zu schädigen, doch dafür den wahren Schuldigen zu stellen, oder aber aus Rücksicht auf den Ruf der Unschuldigen auch den Verbrecher entkommen zu lassen.«
    »Wenn es darauf hinausläuft, werde ich sie schonen«, sagte Monk barsch. »Aber nicht, ohne es mit jedem verdammten Trick zu versuchen!«
    Rathbone sah ihn bekümmert an. »Bei einer Anklage ohne Beweis trifft es stets nur die Unschuldigen, während die Übeltäter davonkommen.«
    Darauf wusste Monk nichts mehr zu entgegnen. Rathbone hatte Recht, und er verstand nur zu gut. »Es ist zu spät, als dass wir jetzt noch etwas zurückziehen könnten.«
    »Ich könnte die Anklage gegen Sixsmith fallen lassen.«
    Angetrieben von einem Gefühl, das mehr umfasste als nur Zorn auf Argyll oder das Bedürfnis zu gewinnen, erklärte Monk: »Wir müssen alles unternehmen, um zu klären, ob Havilland vor einer echten Gefahr Angst hatte oder nur vor geschlossenen dunklen Räumen. Und falls Mary dasselbe herausgefunden hat wie er und deswegen umgebracht wurde, können wir nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen.« Im selben Atemzug wurde ihm bereits bewusst, dass das nicht sein eigentliches Motiv war. Was ihn verfolgte, war Mary Havillands von schmutzigem Wasser verschmiertes, bleiches Gesicht. Und selbst wenn alle anderen Elemente des Falles geklärt wurden, würde ihn das nicht ruhen lassen, bis ihr Name rehabilitiert war und sie und ihr Vater so beerdigt wurden, wie sie es sich gewünscht hätten. Davon wusste Rathbone freilich nichts. Es war eine persönliche Wunde, tief in Monks Herzen, die untrennbar mit seiner Liebe zu Hester verwoben war.
    Rathbone sah ihm fest in die Augen. »Ich habe Argylls Maschinen geprüft. Es sind so ziemlich die gleichen wie die der übrigen Unternehmer. Eher besser, weil sie mit großem Geschick und Erfindungsreichtum abgeändert wurden, aber auf keinen Fall gefährlicher!«
    »Etwas stimmt dort nicht!«, beharrte Monk.
    »Dann zeigen Sie’s mir«, sagte Rathbone schlicht.
     
    Am nächsten Morgen begann am Old Bailey der Prozess. Als die Geschworenen benannt und die üblichen Formalitäten erledigt waren, hielt Rathbone das Eröffnungsplädoyer der Anklage. Sein erster Zeuge war Runcorn.
    Monk saß mit Hester an seiner Seite auf der Zuschauergalerie. Da sie nicht als Zeugen vorgeladen waren, war es ihnen gestattet, den Prozess zu verfolgen. Monk warf ihr einen Blick zu. Ihr Gesicht war ernst und blass, und er wusste bereits, dass sie an Mary Havilland dachte. Bestimmt wurde sie wieder an ihre eigene Trauer erinnert, an ihre Hilflosigkeit und ihre Schuldgefühle, weil sie nicht dagewesen war, als ihr Vater gestorben war. So töricht das auch war, man glaubte ja immer, dass man irgendetwas hätte tun oder sagen können, wodurch alles ganz anders ausgegangen wäre. Er hatte nie Zorn bei ihr gesehen oder einen Vorwurf gegen ihren Bruder James gehört, weil er den Selbstmord ihres Vaters nicht irgendwie verhindert hatte. Wie stellte sie es bloß an, dass sie Anwandlungen von Bitterkeit oder Freudlosigkeit nicht an sich heranließ?
    Plötzlich kam ihm ein neuer Gedanke. Wie unvorstellbar dumm er doch war, dass er es nicht schon längst bemerkt hatte! War nicht genau die Art und Weise, wie sie sich in den Kampf gegen Schmerzen, Unrecht und Hilflosigkeit stürzte, ihr Weg, die

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