Das dunkle Labyrinth: Roman
hatte? Das heißt, zu Beginn.«
»Die Pistole neben seiner Leiche, der Umstand, dass nichts gestohlen worden war und keine Spuren eines Einbruchs vorlagen«, sagte Runcorn betrübt.
»Gab es denn etwas Wertvolles, das ein Dieb mitgenommen hätte?«
»Ja, Sir.«
»Fanden Sie irgendwelche Hinweise darauf, dass Mr. Havilland kurz vor seinem Tod besorgt oder unruhig war?«
Runcorn ging nicht darauf ein. »Niemand erwartete, dass er sich das Leben nehmen würde.«
»Das ist selten der Fall.« Dobie deutete ein Schulterzucken an. »Es ist immer schwer, sich so etwas vorzustellen. Welche Pistole benutzte er denn – Verzeihung: wurde benutzt, Superintendent?«
Runcorn hatte den Kiefer vorgeschoben. »Seine eigene.«
»Und Sie haben das natürlich überprüft?«
»Ja.«
»Hätten Sie vielleicht die Güte, dem Gericht zu erläutern, was, um alles in der Welt, Sie dazu veranlasst hat, zwei Monate später von vorn anzufangen und Ihre erste Erkenntnis infrage zu stellen? Sie scheint doch eine absolut vernünftige, um nicht zu sagen, die einzige mögliche Erkenntnis zu sein, zu der Sie gelangen konnten.«
Runcorns Gesicht war dunkelrot angelaufen, doch seine Augen ruhten ohne zu flackern auf Dobie. »Seine Tochter starb ebenfalls unter tragischen und fragwürdigen Umständen.«
»Fragwürdig?« Dobies Brauen hoben sich, sein Ton war ungläubig. »Ich dachte, auch sie hätte sich das Leben genommen. Habe ich da etwas missverstanden? Ist sie nicht in einem Selbstmördergrab bestattet worden?«
Das war sein erster taktischer Fehler. Hester schloss die Augen. Sie verharrte regungslos auf ihrem Stuhl. Im ganzen Zuschauerraum wurde leise nach Luft geschnappt. Monk beugte sich vor, um die Gesichter der Geschworenen zu studieren. Bei allen entdeckte er Mitleid und Abscheu. Sie mussten gar nicht unbedingt anderer Meinung sein, doch den Ton dieser Äußerung fanden sie grausam.
Das hatte Dobie allerdings noch nicht bemerkt. Er wartete auf Runcorns Antwort.
Runcorns Miene blieb düster, seine Stimme verriet seine Bewegung. »Es waren die Hast und die mögliche Ungerechtigkeit dieser Prozedur, die mich dazu führten, mich noch einmal mit Mr. Havillands Tod zu befassen. Ich hatte Mary Havilland aufgrund des Todes ihres Vaters kennen gelernt. Sie war sich von Anfang an sicher gewesen, dass er ermordet worden war. Damals glaubte ich ihr nicht, aber später hielt ich es für notwendig, seinen Tod noch einmal zu untersuchen.«
Unvermittelt blitzte Zorn in Dobies bis dahin glattem Gesicht auf. »Sind Sie wirklich aufrichtig zu uns, Superintendent? War es nicht eher ein Besuch eines gewissen Mr. Monk, der sie dazu veranlasste, sich noch einmal damit zu befassen? Er ist doch ein Freund von Ihnen, nicht wahr? Und seien Sie bitte aufrichtig.«
»Monk und ich arbeiteten ein paar Jahre lang zusammen«, antwortete Runcorn schmallippig. »Er ist jetzt bei der Wasserpolizei. Da er Mary Havillands Tod untersuchte und von ihrem Vater gehört hatte, kam er natürlich zu mir, um sich ausführlich darüber zu informieren.«
»Und Sie berichteten Mr. Monk von Ihrem ursprünglichen Ergebnis, dass Havilland sich erschossen hatte?«
»Ich klärte ihn über die Einzelheiten unserer Untersuchung auf. Im Lichte des Todes der Tochter sahen wir uns auch noch einmal seinen Fall an.«
»Falls Sie sich getäuscht hatten, Superintendent?«
»Hoffentlich nicht. Aber wenn doch, bin ich Manns genug, um das zuzugeben.«
Ein zweiter taktischer Fehler des Verteidigers. In der Galerie erhob sich zustimmendes Murmeln.
Hester lächelte. Ihre Augen strahlten.
Dobie zog Runcorn noch eine Weile ins Lächerliche, bis er dann doch merkte, dass er sich damit mehr schadete als nützte, und ihn entließ.
Danach gab der Polizeiarzt auf Rathbones Fragen hin einen ungefähren Zeitrahmen an, innerhalb dessen Havilland gestorben sein musste. Dobie wollte das genauer wissen, widersprach aber nicht.
Rathbone berief Cardman, den Butler, in den Zeugenstand, der sich stocksteif vor der Brüstung aufbaute, die Lippen aufeinandergepresst, die Haut fast blutleer – wie ein Soldat vor einem Exekutionskommando. Monk konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sehr der Butler all das verabscheuen musste. So knapp wie nur möglich beantwortete er Rathbones Fragen nach dem Brief, der überbracht und Havilland ausgehändigt worden war. Er berichtete, dass Havilland die Bediensteten daraufhin aufgefordert hatte, sich in ihre Zimmer zurückzuziehen, und ihnen dabei seine Absicht mitgeteilt
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