Das dunkle Labyrinth: Roman
senkte die Stimme. »Jetzt sieht es ganz danach aus, dass die arme Seele neben ihm liegen wird. Wissen Sie, wann das geschehen wird, weil …?« Er unterbrach sich abrupt, dann räusperte er sich und funkelte Monk herausfordernd an, als wartete er nur auf eine spöttische Bemerkung.
Nichts lag Monk in diesem Moment ferner. Vor seinem geistigen Auge spielte sich unablässig die Szene ab, wie Mary nach hinten über die Brüstung kippte, sich dabei an Toby Argyll klammerte, und wie die beiden in den eisigen Fluss stürzten. Er wusste immer noch nicht, was tatsächlich geschehen war. Nichts war klar, und was als Erinnerung begann, mündete in Fantasievorstellungen, weil er sich wünschte, Mary hätte es nicht selbst getan.
Ihm fielen wieder die kräftigen Knochen und der sanft geschwungene Mund in dem weißen Gesicht ein, nachdem sie sie aus dem Wasser gezogen hatten, und er musste an Mrs. Porter denken, die sie als Frau mit eigenen Meinungen bezeichnet hatte, die den Mut hatte, dazu zu stehen.
»Nein, es ist noch nicht so weit«, beantwortete er Runcorns nicht ausgesprochene Frage. »Aber Sie erfahren es von mir, sobald ich den Termin weiß. Ich muss auch dem Butler, Cardman, Bescheid sagen.«
Runcorn nickte, um dann jäh wegzusehen, als seine Augen zu schimmern begannen.
Monk wechselte das Thema. »Sie haben gesagt, Sie hätten ermittelt, wo er die Pistole gekauft hat?«
»Ein Pfandleihhaus etwa eine halbe Meile von hier entfernt«, sagte Runcorn, den Kopf immer noch abgewandt. »Der Inhaber beschrieb ihn genau genug. Er trug einen guten Mantel aus dunkler Wolle und einen Schal. Nichts daran ist auffällig, schon gar nicht an einem Novemberabend.«
»Das nennen Sie genau? Das hätte jeder sein können.«
»Das schon. Nur dass er eine Pistole dabeihatte. Und die hatte ein, zwei Kratzer, dessen war er sich ganz sicher.«
»Aber aus welchem Grund hätte Havilland sich töten sollen?«, beharrte Monk.
Runcorn schüttelte den Kopf. »Argyll sagte mir, er wäre seiner Firma immer lästiger gefallen. Es hätte ihm widerstrebt, Havilland das zu eröffnen, aber er hätte die Absicht gehabt, ihn zu entlassen. Havilland hätte die Arbeiter verunsichert und für Ärger gesorgt. Es hätte ihn, Argyll, zutiefst betrübt, aber er hätte keine andere Möglichkeit gesehen. Er könne nicht zulassen, dass die anderen wegen der Obsession eines Einzelnen litten. Argyll sagte, dass er noch nicht mit seiner Frau darüber geredet hatte und Mary es ganz bestimmt nicht wusste, er es aber Havilland gegenüber angedeutet hatte. Er bat uns dann inständig, sie zu schonen und vor den Schwestern nichts davon zu erwähnen, vor allem nicht vor Mary. Es würde schließlich nichts an Havillands Selbstmord ändern und ihn in ihren Augen nur schäbig erscheinen lassen. Ja, der Schritt seines Schwiegervaters würde dann sogar rationaler wirken. Na gut, vielleicht hat er es ihnen später doch noch anvertraut.« Endlich sah er Monk wieder an. Sein Gesicht verriet keine Spur von Erleichterung oder Entschlossenheit.
Jäh erinnerte sich Monk daran, wie Runcorns Gesicht bei der Beerdigung einer anderen Frau plötzlich weich geworden war. Er hatte damals geglaubt, Runcorn würde sie verachten – tatsächlich hatte er seinen Kollegen nur vorschnell verurteilt. »Armer Mann«, murmelte er nun. »Wenn er doch mit ihr gesprochen hat und sie sich von der Brücke gestürzt und Toby mit in die Tiefe gerissen hat, wird er sich sein Leben lang Vorwürfe machen.«
»Was hätte er sonst tun können?«, fragte Runcorn zurück. »Er steckte in einer Zwickmühle.«
»Aber wenn Havilland doch ermordet wurde«, überlegte Monk laut, »wen hielt Mary für den Täter?«
»Ihren Schwager«, antwortete Runcorn ohne zu zögern. »Aber er war es nicht. Wir haben das überprüft. Er war am fraglichen Tag den ganzen Abend bei einem gesellschaftlichen Ereignis und kam zusammen mit seiner Frau erst kurz nach Mitternacht nach Hause. Sie ist bereit, sich unter Eid für ihn zu verbürgen. Seine Bediensteten genauso. Ein Diener blieb zusammen mit der Zofe seiner Frau bis zu ihrer Rückkehr wach. Er hätte also unter keinen Umständen am Tatort sein können. Das Gleiche gilt für seinen Bruder – bevor Sie danach fragen.«
»Er lebt in der Nähe und hat keine Bediensteten, die für ihn schwören würden.«
Runcorn schüttelte den Kopf. »Er war in dieser Nacht über hundert Meilen von London entfernt. Auch dieser Sache bin ich nachgegangen.«
»Ich verstehe.« Es gab nichts,
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