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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Bächen. London is’ fast überall auf Lehm gebaut, verstehn Sie.« Sein Gesicht war äußerst angespannt, seine Augen glühten.
    »Mein Vater hat sie mir alle gezeigt. Er war nämlich ein Tosher, einer von den besten. Kannte unter der Stadt von Battersea bis nach Greenwich jeden einzelnen Bach und die meisten Quellen dazu. Ganz ehrlich. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Quellen es da unten gibt, Miss Hester?«
    »Es dürften …«, sie überlegte und merkte, dass sie keinen Schimmer hatte, »… wohl Hunderte sein.«
    »Ich mein nich’ die, die wir mit Brunnen anpumpen«, erklärte er, »sondern die, die unten bleiben und irgendwohin abfließen, sozusagen geheim.«
    »Wirklich?« Sie verstand nicht, warum ihn das beunruhigte, und noch viel weniger, warum er deswegen ausgerechnet zu ihr kam.
    Er begriff, weshalb sie so verwirrt war, und schnitt eine Grimasse wegen seiner eigenen Dummheit. »Die Sache is’ die, Miss Hester: Wir haben Hunderte von Navvys, die im ganzen Land die Erde aufreißen. Schon seit Jahren. Die einen bauen Tunnel für die Abwässer, die anderen für Straßen, Eisenbahnen und so weiter. Das is’ harte und gefährliche Arbeit, und es hat von Anfang an immer Unfälle gegeben. Gehört halt dazu. Aber seit sie diese neuen Grabungen machen und jeder einen Teil vom Profit einstecken will, isses viel schlimmer geworden. Und jetzt haben es auf einmal alle so schrecklich eilig wegen dem Typhusfieber und dem Great Stink und so, und auch wegen Mr. Bazalgettes neuen Plänen – aber gerade das is’ ja der Grund, warum die Gefahr jetzt noch viel größer wird. Die Maschinen, die sie benutzen, werden immer größer und schneller, weil sie es ja so eilig haben, und da nehmen sie sich nich’ mehr die Zeit, um sich richtig anzuschauen, wo die ganzen Bäche und Quellen sind.« Seine Züge waren vor Angst ganz angespannt. »Und wenn sie da jetzt was falsch machen, gibt es dort unten einen schrecklichen Erdrutsch. Wir hatten schon ein, zwei Einstürze, aber ich glaube, da kommt noch viel mehr, und es passiert was wirklich Schlimmes, wenn die nich’ besser aufpassen und langsamer machen.«
    Sie musterte sein abgespanntes, erschöpftes Gesicht und begriff schlagartig, dass mehr hinter seinen Worten steckte, als er auszudrücken vermochte. »Und was, glauben Sie, kann ich tun, Mr. Sutton?«, fragte sie. »Verletzten Arbeitern kann ich nicht helfen. Dafür habe ich nicht die nötige Ausbildung. Und ich habe ganz gewiss nicht das Ohr einflussreicher Personen, die dafür sorgen könnten, dass die Baufirmen sorgfältiger arbeiten.«
    Seine Schultern sackten etwas nach unten, sodass sie unter der schlichten, dunklen Jacke plötzlich viel schmaler wirkten. Sie schätzte ihn auf etwas über fünfzig, doch harte Arbeit – der Großteil davon gefährlich und unschön – und zudem viele Jahre der Armut hatten ihn mehr Kraft gekostet, als sie ursprünglich gedacht hatte. Insofern konnte er also durchaus jünger sein. Ihr fiel wieder ein, wie fürsorglich und unerschrocken er ihnen allen, insbesondere ihr, geholfen hatte. »Worum möchten Sie mich bitten?«, fragte sie.
    Er lächelte, weil er spürte, dass sie bereits nachgab, und sie hoffte inbrünstig, dass er den Grund dafür nicht erkannt hatte. »Wenn mir vor einem Jahr einer gesagt hätte, dass’ne Dame, die im Krimkrieg war, das Freudenhaus vom alten Squeaky Robinson in ein Krankenhaus für Nutten verwandelt und andere Damen so weit kriegt, dass sie dort kochen und sauber machen, dann hätt ich ihm’nen Eimer kaltes Wasser übern Kopf gegossen, damit er nüchtern wird. Aber wenn jemand die Bauarbeiter dazu bringen kann, dass sie nich’ ganz so schlampen, dann sind Sie das.« Er leerte seine Tasse und stand auf. »Wenn Sie mit mir mitkommen können, dann zeig ich Ihnen die Maschinen, von denen ich spreche.«
    Sie starrte ihn erschrocken an.
    »Ich bring Sie nich’ in Gefahr«, versprach er ihr. »Wir gehen zu einer, die über Tage arbeitet. Aber Sie werden sich dann vorstellen können, wie’s unter der Erde zugeht. Manche Tunnel werden dicht unter der Oberfläche gegraben und dann einfach zugedeckt. Aufreißen und zuschütten, so nennen sie das. Aber andere Baustellen sind so tief unten wie Rattenlöcher und sehen nie die Sonne.« Er erschauerte unwillkürlich. »Und das sind die, die mir Angst machen. Die Ingenieure mögen ja schlau sein und sich mit allen möglichen Maschinen und großen Ideen auskennen, aber sie haben keine Ahnung, was da alles seit

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