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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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fragte Monk in seinem unschuldigsten Ton.
    Sixsmith musterte ihn prüfend. Sein Blick war offen, und es war unmöglich, die Intelligenz in seinen Augen zu übersehen. »Es hat wohl keinen Sinn, das jetzt noch zu verbergen«, murmelte er resigniert. »Der arme Mann ist tot, und die Welt weiß über seine Schwächen Bescheid. Ja, er hatte Angst davor, dass ein Bach durchbrechen könnte und es eine Überschwemmung oder einen Erdrutsch gäbe. Wenn das geschähe, würden natürlich Männer lebendig begraben werden oder ertrinken. Am Ende war er richtig besessen von der Vorstellung, dass irgendwelche vergessenen Flüsse nur darauf warteten, einen Weg in die Tunnel zu finden, als ob sie eigene böse Absichten hätten.« Seine Augen nahmen einen abwehrenden Ausdruck an. »Das war nicht so wahnsinnig, wie es sich anhört, Mr. Monk, jedenfalls nicht völlig. Es war nur die Übertreibung von etwas Realem, eine sozusagen über die Grenzen der Vernunft hinausgehende Angst. Tunnel sind ein gefährliches Geschäft. Männer haben beim Bau des Themsetunnels das Leben verloren, verstehen Sie? Erschlagen, erstickt, alles Mögliche. Es ist ein harter Beruf und nicht für jeden geeignet.«
    »Aber Sie persönlich mochten Havilland?« Trotz seines schweren Mantels fröstelte Monk. Er biss die Zähne aufeinander, um sich das nicht anmerken zu lassen.
    »Ja«, antwortete Sixsmith, ohne zu zögern. »Er war ein guter Mensch.« Er steckte die Hände in die Taschen. All seine Bewegungen waren ganz zwanglos, locker.
    »Kannten Sie Miss Mary Havilland?«, setzte Monk nach.
    Kurz nahmen Sixsmith’ Züge einen entnervten Ausdruck an. »Ja, aber nicht allzu gut. Sie litt sehr unter dem Tod ihres Vaters. Ich fürchte, sie war etwas weniger … ausgeglichen als er oder ihre Schwester, Mrs. Argyll. Sehr emotional.«
    Diese Beschreibung verübelte Monk Sixsmith. Eigentlich unvernünftig, hielt er sich selbst vor. Er hatte Mary Havilland zu ihren Lebzeiten nicht gekannt, Sixsmith dagegen schon. Und er durfte nicht vergessen, dass ihre Ähnlichkeit mit Hester wohl eher oberflächlich war und von den Umständen herrührte, nicht von ihrer Natur. Und doch hatte ihr Gesicht so sanft und klug gewirkt. Emotional, gewiss, aber das waren die Leidenschaften einer starken, nicht die Launen und Flausen einer schwachen Frau.
    Es fiel ihm schwer, mit diesem Mann, der Mary anders erlebt hatte, über ihren Tod zu sprechen. Er zögerte, suchte so eindringlich nach den richtigen Worten, dass er dabei sogar vergaß, wie weit das Licht immer noch entfernt war.
    Sixsmith kam vor ihm oben an. »Ist das der Grund, warum Sie hier sind? Sie haben gesagt, Sie sind von der Wasserpolizei. Sie ist im Fluss gestorben, nicht wahr?« Er schürzte die Lippen. »Das tut mir aufrichtig leid. Und um den jungen Toby auch. Was für eine schreckliche Tragödie.« Er sah Monk eindringlich ins Gesicht. »Nehmen Sie an, dass sie sich wegen ihres Vaters umgebracht hat? Da haben Sie vermutlich Recht. Sie konnte die Wahrheit nicht akzeptieren, wehrte sich mit aller Kraft dagegen, die arme Seele.« Er zuckte leicht mit den mächtigen Schultern. »Na ja, vielleicht hätte ich es genauso gemacht, wenn es mein Vater gewesen wäre. Es ist schwer, sich mit so was abzufinden, wenn es die eigene Familie getroffen hat.«
    Monk musterte Sixsmith’ zerknittertes Gesicht, vermochte aber nichts als Mitgefühl darin zu entdecken.
    »Jeder hatte Mitleid mit ihr«, fuhr Sixsmith fort. »Wir haben uns bei ihren Fragen und Beschuldigungen taub gestellt und gehofft, dass sie von selbst aufhört, aber das hat anscheinend nichts geholfen. Vielleicht hat sie die Wahrheit am Ende erkannt und sie nicht verkraftet. Sie hatte ihren Vater vergöttert. Das ist nicht klug. Schließlich sind wir alle nur Menschen. Vielleicht hätte niemand das erfüllen können, was sie in ihm sah. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
    Erneut warf Monk einen prüfenden Blick auf das ausdrucksstarke, traurige Gesicht ihm gegenüber. Es vermittelte ihm feste Überzeugung und tiefes Bedauern. »Vielen Dank. Ich komme noch mal zu Ihnen, wenn sich etwas Neues ergibt.« Er reichte ihm die Hand.
    Sixsmith ergriff sie mit einem so warmherzigen Lächeln, dass es sein ganzes Gesicht veränderte. »Bitte tun Sie das«, sagte er und ließ Monks Hand los. »Und wenn ich Ihnen helfen kann, will ich das gerne tun.«
     
    Obwohl er Sixsmith glaubte, wollte Monk noch einmal der Frage nach Havillands Selbstmord nachgehen. Während er in einem Hansom

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