Das dunkle Labyrinth: Roman
Szene wie einen Selbstmord statt wie einen verhinderten Einbruch oder einen Kampf zu arrangieren. Warum? Es wäre doch sicher leicht gewesen, entsprechende Spuren zu legen. Wäre der Eindruck entstanden, Havilland hätte einen Dieb ertappt, wäre jeder verdächtig gewesen. Warum also der Anschein von Selbstmord?
Die Antwort war nur zu offensichtlich: um ihn zu beschämen, um alles, was er in den letzten Wochen seines Lebens gesagt und getan hatte, in Verruf zu bringen. Wenn das zutraf, dann konnten es nur Alan oder Toby Argyll gewesen sein, oder alle beide. Mary hatte es gewusst oder war drauf und dran gewesen, den Beweis zu erbringen – und hatte ebenfalls mit dem Leben dafür bezahlt.
Ohne es zu merken, hatte Monk den Weg zum Revier der Metropolitan Police eingeschlagen, als hätte er das von Anfang an vorgehabt. Warum musste ausgerechnet Runcorn für diesen Fall zuständig sein? Bei jedem anderen Superintendenten wäre es für ihn leichter gewesen. Aber stimmte das wirklich? Womöglich hatte er sich sehr viel mehr Feinde geschaffen. Jedenfalls war er sich sicher, dass er keine Freunde hatte, an die er sich wenden konnte. Wenn jemand von früher her bei ihm in einer Schuld stand, die er hätte einfordern können, hatte er das vergessen. Und mit den Verbrechen, die er als Privatermittler gelöst hatte, hatte er sich bei der Polizei auch nicht gerade beliebt gemacht.
Konnte er in diesem Fall ohne Runcorn weiterermitteln? Zwischen ihnen gab es zu viel Neid, Scham und verletzten Stolz. Jedes Wort konnte aufgrund irgendwelcher Erinnerungen einen Nachgeschmack, einen Hintersinn oder neue Bedeutungen bekommen, die in Gesprächen mit anderen Menschen nie eine Rolle spielen würden. Zwischen ihnen huschten ganze Horden von Geistern umher.
Die Alternative war, Runcorn nichts zu sagen, sondern den Fall Havilland auf eigene Faust zu untersuchen – was natürlich eine Form der Täuschung, eine Misstrauenserklärung wäre. Monk glaubte nicht, dass sie es über sich bringen würden zusammenzuarbeiten, alte Wunden und Eitelkeiten beiseitezuschieben und sich, um des Opfers und der Gerechtigkeit willen, auf die Wahrheit zu konzentrieren.
Und wie würde Orme das werten? Genauso wie alle anderen: dass Monk nicht geeignet war, Männer zu befehligen, dass ihm seine Eitelkeit vor Pflicht und Wahrheit ging.
Doch das stimmte nicht! Ab jetzt würde sich alles ändern! Er beschleunigte seine Schritte, und fünf Minuten später stand er vor der Wache der Metropolitan Police. Nach weiteren zehn Minuten saß er bei Runcorn im Büro und berichtete ihm, was er herausgefunden hatte und was er befürchtete.
Runcorn saß schweigend da, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt, und hörte zu.
»Ich werde die Sache weiterverfolgen«, kündigte Monk an, um das Gesagte im selben Moment bereits zu bereuen. Mit diesem einen Satz hatte er Runcorn ausgeschlossen und herausgefordert. Schon sah er, wie Runcorns Körper steif wurde und die Schultern sich anspannten. Er musste diesen Fehler um jeden Preis wiedergutmachen, und zwar schnell. »Ich denke, Sie werden ebenfalls handeln«, fügte er eilig hinzu und schluckte schwer. »Ich meine, jetzt, da Sie von diesem Brief wissen. Wir werden mehr erreichen, wenn wir zusammenarbeiten.« Das klang wie ein Angebot, und er meinte es auch so.
Runcorn starrte ihn an. »Metropolitan Police und Wasserpolizei?« In seinen blauen Augen mischten sich Verblüffung, Erinnerung und etwas, das vielleicht ein Hoffnungsschimmer war.
Monk spürte die alte Schuld wie eine Welle über sich zusammenschlagen. Einst waren sie Freunde gewesen und hatten einander bei Gefahr in grenzenlosem Vertrauen den Rücken gedeckt. Er war derjenige gewesen, der die Freundschaft gebrochen hatte, nicht Runcorn. Runcorn wiederum hatte ihm die Kränkung später doppelt und dreifach heimgezahlt. Er war langsam, stur, dogmatisch und vorschnell in seinen Urteilen gewesen, was aber nichts daran änderte, dass das Unrecht von Monk ausgegangen war und Runcorn lediglich zurückgeschlagen hatte. Hinzugekommen waren seine verletzten Gefühle, weil er stets als der Langweiligere, der Unbeholfene, der sprachlich nicht so Gewandte behandelt worden war und sich dessen genauso wie Monk bewusst gewesen war. Dass Runcorn jetzt misstrauisch reagierte, war darum nur zu verständlich. Wie konnte er sicher sein, dass ihm eine echte Chance geboten wurde? Musste er nicht befürchten, dass das nur wieder ein Trick war?
»Ich dachte eigentlich nur an Sie und mich«,
Weitere Kostenlose Bücher