Das dunkle Labyrinth: Roman
ihm Runcorn. »Vielleicht morgen. Zu einer christlichen Zeit. Wie heißt er?«
Monk verabschiedete sich mit einer Geste und wandte sich dem nächsten Kutscher zu, der vier Ställe weiter deutlich im Laternenlicht zu sehen war.
Nach einer halben Stunde hatten die zwei Polizisten eine ansehnliche Adressenliste zusammengestellt. Sie vereinbarten, die Befragung am nächsten Abend fortzuführen, allerdings etwas früher.
Danach gönnte sich Monk für den Heimweg eine Fahrt mit dem Hansom. Müde und durchgefroren, aber mit dem Gefühl, vielleicht endlich etwas Greifbares erreicht zu haben, traf er gegen ein Uhr zu Hause ein.
Seine Stimmung erlitt einen empfindlichen Dämpfer, als er am nächsten Morgen leicht verspätet in der Wache in Wapping ankam.
»Mr. Farnham möchte Sie sprechen, Sir«, sagte Clacton mit einem Lächeln, das deutlich mehr Schadenfreude als Freundlichkeit ausdrückte. Das Grinsen wurde breiter. »Er wartet schon’ne ganze Weile.«
Monk verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Damit hätte er Clacton nur in die Hände gespielt. Aber dieser kleine Vorfall festigte seine Entschlossenheit, diesem Burschen eine Lektion zu erteilen, sobald er eine günstige Gelegenheit herbeiführen konnte. Fürs Erste bedankte er sich und trat zum Rapport in Farnhams Büro.
»Macht Ihnen die Kälte zu schaffen, Monk?«, fragte Farnham schnippisch, bevor Monk die Tür geschlossen hatte.
»Sir?« Das Zimmer war behaglich warm und von einem leichten Geruch nach Holzrauch erfüllt. Neben einem Stoß von Dokumenten stand eine Tasse mit dampfendem Tee auf dem Schreibtisch.
Farnham wurde deutlicher. »Das Bett ist Ihnen wohl lieber als eine zugige Flussfahrt, was? Sie wussten wohl nicht, dass das zu ihrer Stellung gehört? Auf dem Wasser, Monk! Dort ist Ihre Arbeit!« Er fügte nicht hinzu, dass Durban um diese Zeit sein Tageswerk längst aufgenommen hätte, doch seine Miene drückte das aus.
»Richtig, Sir, es war eine kalte Nacht«, bestätigte Monk, der seinen Zorn nur mit Mühe unterdrücken konnte. Als Privatermittler mochte man zwar bisweilen beängstigend knapp bei Kasse sein, aber dafür hatte man es nicht nötig, sich solche Bemerkungen schweigend gefallen zu lassen. Und es war nicht so, als ob er um eine passende Antwort verlegen gewesen wäre. Doch er musste sich nur vor Augen halten, welchen Preis es ihn kosten würde, wenn er jetzt zurückschlüge. »Es war eine abscheuliche Nacht, um genau zu sein«, fügte er zur Bekräftigung seiner Worte hinzu. »Es schneite heftig, als ich um halb zwei nach Hause kam.«
Farnham zog ein verdrießliches Gesicht. »Sagen Sie bloß, Sie jagen immer noch diesem Selbstmord nach? Muss ich Sie daran erinnern, dass die Zahl der Verbrechen am Fluss steigt, wofür wir zuständig sind – wofür Sie zuständig sind, Monk! In dieser Jahreszeit sind nicht viele Passagierboote unterwegs, aber die wenigen, die rausfahren, sind häufiger von Diebstählen betroffen als üblich, und wir tun nichts dagegen! Es gibt Leute, die behaupten, das liege daran, dass wir uns einfach nicht darum kümmern.« Erregt schob er den Unterkiefer vor. Auf seinen Wangen zeigten sich die ersten roten Flecken.
Monk sah, dass Farnham drauf und dran war, die Kontrolle zu verlieren. Er schien zu befürchten, die Polizei, seine Polizei, die er so sehr liebte, könnte in Ungnade fallen. Und sie war tatsächlich alles für ihn – nicht nur die Quelle seines Einkommens und seiner Macht, sondern auch die Quelle seines Glaubens an sich selbst. Es war zwar seine Entscheidung gewesen, Monks Bewerbung als Durbans Nachfolger anzunehmen, allerdings hatte er Durban vielleicht nur postum eine Ehre erwiesen und wider sein eigenes Urteil gehandelt. Er musste die Männer bei Laune halten und sich ihre Loyalität sichern, aber wenn Monk seiner Aufgabe nicht gewachsen war, würde Farnham dafür geradestehen müssen.
Monk nahm Haltung an. »Es betrübt mich, das zu hören, Sir«, sagte er pflichtschuldig. »Aber der Eindruck ist völlig falsch. Wir kümmern uns gewissenhaft um unsere Arbeit, wir müssen das nur noch beweisen!«
»Jawohl, das ist Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit! Um Selbstmord kümmert sich niemand. Tragisch, aber so was kommt vor. Das Mädchen war offenbar nicht mehr zurechnungsfähig, seit sich ihr Vater die Kugel gegeben hatte.« Farnham schnitt eine Grimasse. »Scheint in der Familie zu liegen. Lassen Sie die Finger davon. Lassen Sie die Toten ruhen! Es ist so schon schwer genug
Weitere Kostenlose Bücher