Das dunkle Labyrinth: Roman
wandelnden Bevölkerung zu arbeiten und zu überleben.
Monk hatte Durban nur kurz gekannt, und hauptsächlich vor dem Hintergrund eines schrecklichen Ereignisses, bei dem sich Durban als Riese unter den Menschen erwiesen hatte. Monk hatte ihn nicht nur bewundert, sondern auch als Freund und Gefährten geschätzt. Freilich war ihm jetzt klar, dass er keine Ahnung hatte, was für Freunde – oder Feinde – Durban noch gehabt hatte und was für Schulden, bezahlte oder unbezahlte.
Überrascht stellte er fest, dass er das Bedürfnis hatte, Durban zu schützen – vor Farnham und vor wem auch immer, der die Flusspolizei der Korruption beschuldigte, ja, notfalls auch vor Orme. Es ging ihm nicht darum, die eigene Schuld zurückzuzahlen, er tat es schlichtweg aus Freundschaft.
Eine solche Verteidigung tatsächlich aufzubauen war freilich beträchtlich schwieriger. Er vertiefte sich in die Zahlen über die jüngsten Verbrechen, studierte sie wieder und wieder und versuchte, ein bestimmtes Muster darin zu erkennen, das es ihm ermöglichte zu verstehen, was sich verändert hatte. Nach einer halben Stunde musste er sich eingestehen, dass er nicht schlauer war als am Anfang.
Er konnte sich den Luxus nicht leisten, stolz zu sein; er würde einen seiner Männer fragen müssen. So schickte er nach Orme. Einem Untergebenen zu vertrauen barg natürlich ein gewisses Risiko. Wenn Orme nicht begriff, was Monk zu erreichen suchte, verwirrte und verunsicherte ihn das womöglich, und er verdächtigte Monk am Ende, Durbans Ruf zu untergraben und Lorbeeren ernten zu wollen, die ihm nicht zustanden.
Falls Orme jedoch bereits von der Korruption wusste und sogar daran beteiligt war, dann machte Monk sich umso angreifbarer und führte am Ende seine eigene Niederlage herbei. Mit Orme als Gegner würde ihm in keinem Teilbereich seiner Aufgaben der Erfolg gelingen.
»Ja, Sir?« Orme stand mit tadellos zugeknöpfter Uniformjacke und etwas zu straff gebundenem Kragen vor ihm. Er wirkte beunruhigt.
»Schließen Sie die Tür und setzen Sie sich«, sagte Monk und lud ihn mit einer Geste ein, auf dem Stuhl am anderen Ende des Schreibtischs Platz zu nehmen. »Mr. Farnham hat mir mitgeteilt, dass die Zahl der Diebstähle auf den Passagierbooten erschreckend zugenommen hat«, begann er, sobald Orme seiner Aufforderung Folge geleistet hatte. »Und die Zahlen in den Berichten bestätigen das. Sie liegen jetzt viel höher als in den Wintermonaten des letzten Jahres. Ist das Zufall, oder gibt es etwas, das ich außer Acht gelassen habe?«
Orme starrte ihn angesichts seiner Offenheit perplex an. Vielleicht hatte er nach seinen bisherigen Erfahrungen bei der Arbeit geglaubt, Monk sei ein stolzer Mann und hätte Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen.
Und in der Tat rieten alle seine Instinkte Monk zum Rückzug, aber das konnte er sich einfach nicht leisten. Er gab sich einen Ruck und fuhr in sanftem Ton fort: »Mr. Farnham sagt, dass es Leute gibt, die uns Korruption unterstellen. Wir müssen das klären und sie widerlegen – oder als Lügner entlarven.«
Orme erstarrte. Sein Gesicht wurde bleich. In ungläubigem Staunen und tief betrübt richtete er die Augen auf Monk.
»Die Wasserpolizei hat seit über einem halben Jahrhundert den Ruf absoluter Ehrbarkeit.« Monk sprach mit leiser, entschlossener Stimme. »Ich werde nicht zulassen, dass sich das ändert! Wie können wir diesen unbefriedigenden Zustand beenden, Mr. Orme?«
Orme richtete sich kerzengerade auf. Mit einem Schlag hatte er begriffen, dass Monk ihn um Hilfe bat und ihn nicht irgendwie auf die Probe stellen oder beschuldigen wollte. »Wir haben’ne Menge zu tun, Sir«, sagte er zögernd, als prüfte er noch Monks Absichten.
»Allerdings«, bestätigte Monk. »Wir haben die üblichen Schlägereien und Raubüberfälle an den Docks, auf den Barken und den vertäuten Schiffen, die Unfälle, die gefährlichen Wracks oder Ladungen, die Diebstähle und die Brände.«
»Und Morde.« Orme beobachtete Monks Gesicht.
»Und Morde«, gab ihm Monk Recht, verlieh seiner Stimme allerdings einen leicht fragenden Ton.
»Glauben Sie, dass sie die Absicht hatte, sich runterzustürzen, Mr. Monk?«
Er dachte also wieder an Mary. Ihre Tapferkeit, ihre Einsamkeit und all die ungeklärten Fragen schienen ihn nicht loszulassen.
»Nein, das glaube ich nicht.« Monk war jetzt noch aufrichtiger, als er sich vorgenommen hatte, aber es gab kein Zurück mehr. Falls er sich nicht auf Orme verlassen konnte, war er
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