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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Erregung. Die erste bedeutsame Spur! Er warf Runcorn einen Blick zu und musste sich auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen.
    Runcorn ließ den Atem langsam entweichen. »Was für eine Art von Geruch, Ma’am?« Er war peinlich darauf bedacht, ihr nichts einzureden. »Können Sie ihn näher beschreiben?«
    »Also wirklich!« Barclay platzte nun endgültig der Kragen. »Was ist los mit Ihnen, Mann? Das ist ja unerhört! Eine Dame aufzufordern, den Gestank eines Betrunkenen zu beschreiben! Ich weiß nicht, was für einen Umgang Sie pflegen, aber...«
    Die Röte stieg Melisande in die Wangen. Die Grobheit ihres Bruders war ihr viel peinlicher als Runcorns Fragen.
    Der Superintendent errötete ebenfalls – um ihret-, nicht um seinetwillen. Monk sah ihm das sofort an. Seine Augen drückten Verwirrung und Ärger aus. Und auch Hilflosigkeit. Nur zu gerne hätte Runcorn Melisande geholfen, doch er wusste nicht, wie. Etwas an ihrem Verhalten, an ihrer Einsamkeit, die sie auf eigenartige Weise umgab, hatte sein Mitgefühl geweckt, und er wollte sie mit aller Macht verteidigen.
    Konnte Monk helfen, ohne Runcorn in den Schatten zu drängen? Was war besser: Melisande zu retten oder sich damit abzufinden, dass ihnen die Hände gebunden waren, wenn Runcorn nichts für sie tun konnte? Melisande war dazu erzogen worden, zu gehorchen, den Frieden zu wahren. Er musste an Hester denken und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken.
    Runcorn starrte Barclay mit kalter Ablehnung an. »Es ist sehr wohl wichtig, Sir.« Seine Stimme bebte, ob vor Zorn oder Kälte, war nicht eindeutig zu erkennen. Monk und er schlotterten, und ihre Füße waren fast taub. »Dieser Mann kann möglicherweise einen Mord bezeugen. Ich stürze niemanden wissentlich in Verlegenheit, aber es kommt bisweilen vor, dass gerade diejenigen, die am meisten helfen können, auf … unerfreuliche Einzelheiten besonders sensibel reagieren.«
    »Bitte, John, versuche nicht, mich davor zu bewahren, meine Pflicht zu erfüllen.« Melisande sah Runcorn mit einem dankbaren Lächeln an. »Es war ein ziemlich scharfer, rauchiger Geruch. Nicht sehr angenehm, aber auch nicht säuerlich oder widerwärtig.«
    Barclay rümpfte die Nase. »Wahrscheinlich hatte er einen Zigarrenstummel gefunden.«
    »Nein, das war es nicht!«, widersprach sie. »Ich kenne Tabakrauch. Das war es bestimmt nicht.« Plötzlich wurde sie blass. »Oh! Sie meinen, es war Pulverdampf?«
    »Das könnte es gewesen sein«, bestätigte Runcorn.
    »Mit so etwas können Sie doch keine Mordanklage begründen!«, protestierte Barclay.
    »Das tue ich auch nicht.« Runcorn maß ihn mit einem eisigen Blick. Er konnte seine Antipathie nicht länger verbergen. »Es sprechen noch andere Gründe für die Annahme, dass Mr. Havilland sich vielleicht nicht selbst erschossen hat.« Er wandte sich wieder Melisande zu, und sofort wurde sein Gesichtsausdruck wieder weicher. »Erinnern Sie sich noch an das Äußere des Mannes, Ma’am? Seine Statur, zum Beispiel. War es ein großer oder ein eher kleiner Mann? Irgendetwas in seinem Gesicht?«
    Sie überlegte. »Er war sehr mager«, sagte sie schließlich. »Sein Gesicht war schmal, soweit ich es sehen konnte. Er trug einen Schal« – sie fasste sich an den Hals und ans Kinn – »und einen Hut. Ich glaube, er war sehr dunkel …<
    »Es war mitten in einer Winternacht!«, unterbrach sie Barclay in einem Ton, als wäre er der einzige Vernünftige unter lauter Dummen. »Er war von durchschnittlicher Größe und Statur und trug einen schmutzigen, alten Hut. Und sein Mantelkragen war hochgeschlagen, was in einer solchen Nacht wohl völlig normal war. Das ist alles.«
    »Wenn sein Mantel so dunkel war, wie konnten Sie dann den feuchten Fleck sehen?«, fragte Runcorn.
    »Na gut, er war nicht dunkel!«, knurrte Barclay. »Er war hell, aber schmutzig war er trotzdem. Jetzt haben wir Ihnen alles gesagt, was wir wissen, und Sie haben meine Schwester lange genug in der Kälte stehen lassen. Gute Nacht!«
    Melisande sog hörbar die Luft ein. Wollte sie damit zum Ausdruck bringen, dass ihr Bruder derjenige war, der es vorgezogen hatte, vor der Tür zu bleiben? Schließlich hatte sie vorgeschlagen, die Polizisten ins Haus einzuladen. Vielleicht war ihr aber auch eingefallen, dass sie von Barclay abhängig war, nicht von Runcorn oder Monk.
    »Gute Nacht«, sagte sie mit einem flüchtigen entschuldigenden Blick und ging hinein.
    Die Tür fiel zu, und plötzlich wurde es dunkel um die Polizisten. Vom

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