Das dunkle Labyrinth: Roman
frostigen Wind waren sie so klamm, dass sie mehr stolperten als gingen.
Auf den ersten hundert Metern sagte Runcorn kein Wort. Er hing seinen Gedanken nach.
»Dann sollten wir wohl besser herausfinden, ob ihn noch jemand gesehen hat«, brummte Monk schließlich. »Ein Stallknecht in einem der Häuser vielleicht.«
Runcorn sah ihn von der Seite an. »Vielleicht«, erwiderte er trocken. »Ich wette, dass es ein Mörder war, der im Auftrag der Argyll-Brüder handelte. Aber natürlich müssen wir zunächst jede andere Möglichkeit ausschließen. Darum sollten wir morgen jeden hier befragen. Darauf kann ich meine Männer ansetzen. Sie dagegen haben wohl viel Arbeit am Fluss.«
Monk lächelte. Die unvermittelte Erwähnung seiner eigentlichen Aufgabe war ein verklausulierter Dank dafür, dass er sich bei Melisande Ewart zurückgehalten hatte. »Ja. Eine Flut von Raubüberfällen sogar. Danke.«
Runcorn starrte ihn einen langen Moment an, als müsse er sich vergewissern, dass kein Spott in Monks Augen war. Dann nickte er und setzte sich wieder in Bewegung.
Am nächsten Morgen traf Monk wieder recht spät in Wapping ein. Das hatte er nicht gewollt, aber nachdem Hester ihn geweckt hatte, war er wieder eingenickt und hatte sich auch nicht durch das laute Klappern des Rosts aus dem Schlummer reißen lassen, als Hester die Asche aus dem Herd gerüttelt hatte.
Es war fast zehn Uhr, als er die Fähre verließ und die Stufen erklomm. Sie waren mit Eis überzogen und gefährlich glatt. Als er oben ankam, verließ Orme gerade die Polizeiwache. Hatte er auf ihn gewartet? Eine weitere Warnung vor Farnham? Ihm wurde ganz flau im Magen.
Orme näherte sich ihm eilig. Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen. Der Wind zerrte an seinen Haaren. »Morgen, Sir«, sagte er leise. »Möchten Sie ein bisschen laufen?« Er deutete mit dem Kinn auf die Uferpromenade.
»Guten Morgen, Orme. Was ist los?« Monk verstand den Wink und ging neben ihm her.
»Hab mich gestern umgehört, Mr. Monk. Hab ein paar Fragen gestellt und den einen oder anderen Gefallen eingefordert.« Orme verstummte wieder, bis er Monk außer Sichtweite des Reviers geführt hatte. »Es stimmt tatsächlich«, fuhr er dann fort. »Es hat in den letzten zwei Monaten eine ganze Menge Diebstähle gegeben – ungemein raffiniert und unauffällig. Zum Beispiel steht da ein Passagier und unterhält sich. Irgendein Wertgegenstand verschwindet – Uhr, Armband oder was auch immer. Keiner merkt was, und wenn, dann ist es natürlich zu spät. Der Dieb könnte schon überall sein. Und immer steht jemand daneben, der es nicht getan haben kann. Und der schwört jedes Mal Stein und Bein, dass er nix gesehen hat.«
»Mehrere Leute, die zusammenarbeiten«, mutmaßte Monk. »Einer zur Ablenkung, der Dieb, ein unauffälliger Passant, noch einer, der seine Hilfe anbietet und den Weg versperrt, und vielleicht noch ein Fünfter, der die Ware einsteckt und verschwindet.«
»Stimmt genau. Und nach allem, was ich gehört hab, bin ich mir ziemlich sicher, dass jedes Mal mindestens ein Kind von zehn, elf Jahren dabei is’.«
»Doch nicht immer dasselbe Kind?«
»Nein, nur das gleiche Alter. Die Leute halten sie für Bettler, Lumpensammler – einfach für Streuner, die auf den Booten rumhängen, um einen Bissen zu ergattern oder sich zu wärmen. Besser in’nem Boot als am Ufer im Wind.«
Monk musste an Scuff denken. Der Junge würde wahrscheinlich lieber arbeiten als stehlen, aber was für Möglichkeiten boten sich einem obdachlosen Kind mitten im Winter denn schon am Fluss? Der Gedanke an warmes Essen, eine trockene, windgeschützte Stelle und eine Decke war wohl reizvoll genug, um jeden zu verlocken. Scuff war tapfer, gewitzt, schnell – ein idealer Kandidat für jeden Bandenchef, der ungewünschte Kinder bei sich aufnahm und zu Dieben machte. Ein solches Leben war alles andere als ideal, aber dafür erhielten sie Essen, Kleidung und bis zu einem bestimmten Grad auch Schutz. Bei der Vorstellung, dass Scuff so enden konnte, wurde Monk regelrecht schlecht. Die Gerichte kannten keine Milde bei Kindern. Dieb war Dieb.
Er konzentrierte sich wieder auf Orme. »Schon eine Ahnung, wer?« Die Worte gingen ihm schwer über die Lippen.
Orme musste die Veränderung in seiner Stimme gespürt haben. Er sah ihn kurz an. »Eine ungefähre. Aber das sind nur die Arme und Beine der Bande, die uns nich’ viel nützen. Wir brauchen den Kopf. Wird nich’ leicht sein.«
Monk nickte. »Wir werden gut
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