Das dunkle Netz der Lügen
lassen.»
«Wir könnten vielleicht nach Mülheim», sagte Mina zaghaft. «Das ist auch nicht so weit von Ruhrort weg.»
Er dachte einen Moment nach. «Nein. Ich habe schon eine Idee. Ich schicke Loiserl los, er soll uns ein Boot besorgen, mit dem wir noch heute Nacht übersetzen können.»
«Nach Ruhrort?», fragte Mina überrascht.
«Wohin denn sonst, du Dummerl.»
«Und was ist mit dem Polizisten draußen?», fragte sie und funkelte Kellerer böse an.
«Um den mach dir mal keine Sorgen.» Mathis nahm sich eine der Sektflaschen, die noch auf dem Tisch in ihrem Zimmer standen, und nahm einen tiefen Zug. «Was hast du dem Jungen da eben eigentlich zugesteckt?», fragte er, ohne sich zu Mina umzudrehen.
«Etwas, das Georg und seine Familie ganz schön durcheinanderbringen wird», sagte sie mit einem leichten Lächeln und streckte die Hand nach der Flasche aus.
Robert hatte die Jungen zu Hause abgeliefert und sah noch einmal im Rathaus nach dem Rechten, bevor er Feierabend machen wollte. In Gedanken war er noch immer bei den Geschehnissen in Duisburg und fragte sich, ob Loersbroek nicht einen Fehler gemacht hatte, indem er Mina und Kellerer laufenließ. Aber auch er selbst hatte schon oft genug unliebsame Zeitgenossen einfach aus der Stadt befördert, statt sie vor Gericht stellen zu lassen. Gefangene kosteten Geld, und Zuhälter wie Kellerer waren nicht unbedingt gefährlich.
Er war überrascht, als er Simon vor dem Schreibtisch von Sergeant Recke entdeckte.
«Wir haben ihn in der Altstadt beim Betteln aufgegriffen», erklärte Recke.
«Leihen dir deine Freunde nichts mehr?», fragte Robert, aber Simon reagierte kaum.
«Ich brauche einen Arzt», murmelte er. Roberts Blick fiel auf die Behelfskrücke, einen langen Holzprügel, den er oben mit Lumpen umwickelt hatte.
Recke runzelte die Stirn. «Mag ja sein, dass es sich als Krüppel besser betteln lässt, Weber, aber uns brauchst du so etwas nicht vorzuspielen.»
Robert betrachtete Simon genauer. Er war hochrot, wirkte fiebrig. «Der Fuß?», fragte Robert. Er erinnerte sich an Dietrichs Tritt. «Leg das Bein auf den Stuhl!»
Simon schrie auf, als er den Fuß auf die Sitzfläche legte. Er hatte ihn dick umwickelt. Robert, obwohl er sich vor den dreckigen Stofffetzen ekelte, wickelte ihn so vorsichtig wie möglich aus.
«Großer Gott!», entfuhr es Recke, als er den unförmigen blau-schwarzen Klumpen sah, der da zum Vorschein kam.
«Holen Sie Dr. Feldkamp, Recke. Machen Sie schnell.»
Recke nickte und beeilte sich.
«Warum bist du nicht zum Arzt gegangen, Simon?»
«Ich hatte kein Geld.»
«Aber als wir dich aufgegriffen haben, hattest du doch ein paar Thaler im Spiel gewonnen.»
Simon lachte verächtlich. «Und in Duisburg gleich am nächsten Tag alles verloren.» Er stöhnte. «Bitte, Herr Commissar. Ich habe wirklich gebüßt für alles. Ich weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Bitte reden Sie mit Finchen – und ich bitte Sie auch, mich wieder für Sie arbeiten zu lassen.»
«Es mag ja sein, dass du wirklich etwas gelernt hast, Simon.Aber wer sagt mir, dass die Sauferei und das Spielen nicht sofort wieder losgehen, sobald du wieder gesund bist?» Er wagte nicht zu sagen, dass er nicht daran glaubte, dass bei dem Fuß noch etwas gerettet werden konnte.
«Aber was soll ich denn tun?», sagte Simon verzweifelt. «Hören Sie, ich werde Ihnen etwas erzählen. Etwas, das Ihnen vielleicht hilft, Anna Jansens Mörder zu finden.»
«Und warum hast du mir das nicht schon längst erzählt?», fragte Robert.
«Ich war nicht sehr gut auf Sie zu sprechen, Herr Commissar. Und ich wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen.»
Das klang ehrlich. «Dann heraus damit», sagte Robert.
«Und nehmen Sie mich dann wieder auf?»
«Nein, Simon. Aber ich verspreche dir, dass wir uns um dich kümmern werden, bis du wieder gesund bist.»
Simon blickte auf den Fuß und nickte.
«Damals, kurz bevor das mit Anna passierte – der Überfall hier in der Stadt, nicht der Mord in Duisburg –, da hatte Walther Jansen plötzlich viel Geld. Aber es waren Münzen, die ich noch nie gesehen hatte.»
«Österreichische Gulden, Simon. Das wissen wir bereits. Walther sitzt deswegen im Gefängnis.»
«Aber wissen Sie auch, von wem das Geld kommt?»
«Du weißt das?», fragte Robert erstaunt.
Simon sah auf den Boden. «Nicht genau. Ich habe keine Namen. Aber bevor das passierte, tauchten ein paar merkwürdige Kerle hier in Ruhrort auf. Sie sprachen ganz
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