Das dunkle Netz der Lügen
klar, dass sie hier in der Stadt kaum ein ruhiges Plätzchen finden würde.
Langsam bewegte sie sich Richtung Hafen. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis dort Ruhe eingekehrt war, aber hier gab es Lagerhäuser und viele Säcke, auf denen man ganz bequem liegen konnte.
Als auf den Schiffen die meisten Lichter gelöscht waren, suchte sie sich ein Plätzchen.
Sie hatte nicht den Mann bemerkt, der ihr den ganzen Abend von Ort zu Ort gefolgt war. Der lehnte sich an einen Lagerschuppen, als ein Schiffsjunge an ihm vorbeilief. «He, du!», rief er leise. «Willst du dir einen Groschen verdienen?»
«Was soll ich denn tun?», fragte der Junge.
«Lauf ins Rathaus und sag dem Polizeidiener dort, dass Sergeant Recke am Hafen ist, weil die bestimmte Person dort schläft.»
«Hä?»
Recke seufzte. Er zog sein Notizbüchlein hervor, kritzelte etwas hinein und riss dann die Seite heraus.
«Bring ihm einfach diesen Zettel. Wenn du zurückkommst, bekommst du deinen Groschen.»
«Zwei. Ich kriege ohnehin schon Prügel, weil ich so spät komme.»
«Gut, zwei. Aber beeil dich!»
Am nächsten Morgen wartete Recke – obwohl völlig übernächtigt – auf Commissar Borghoff. Nach seinem Bericht hatte Ebel sich aufgemacht, um die Wirtin der Pension zu befragen, in der Zita gewesen war.
Recke hatte Robert gerade berichtet, was Zita den ganzen Tag über gemacht hatte, als Ebel zu ihnen stieß.
«Wir haben jetzt seinen richtigen Namen.» Bisher hatten sie den Glatzkopf mit dem Schlapphut unter dem Namen «Hans Müller» gekannt, den er bei der Anmeldung in Ruhrort angegeben hatte. «Zita nannte ihn ‹Ulrich Weingart›. Weil wir ja schon einmal nach ihm gefragt hatten, hat die Wirtin sich den Namen gemerkt.»
Recke gähnte. «Aber er ist wohl genauso verschwunden wie der Doktor. Zita hat ihn gesucht, aber nicht gefunden.»
«Merkwürdig ist, dass sie unter freiem Himmel geschlafen hat und nicht zu den Dieben gegangen ist, nachdem Martha sie hinausgeworfen hat», sagte Robert.
«Sie schien ziemlich verzweifelt. Und es ist sehr viel schwieriger geworden, sie zu überwachen.» Recke fielen fast die Augen zu.
«Sergeant, machen Sie, dass Sie ins Bett kommen. Es war eine gute Idee, den Jungen zu schicken, damit wir sie finden können.»
Recke machte sich auf den Heimweg.
«Vielleicht liegen wir mit ihr falsch», sagte Ebel plötzlich. «Was, wenn nur dieser Weingart ihre Verbindung zu den Dieben war? Er ist verschwunden, und nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Und wir kommen auch nicht mehr weiter mit unseren Nachforschungen.»
«Was schlagen Sie denn stattdessen vor, Ebel?», wollte Robert wissen.
Der zuckte mit den Schultern. «Ich würde sie jedenfalls gleich festsetzen und mir diese mühselige Beschattung sparen. Die Leute, die wir dazu einsetzen, können wir besser an den Kontrollpunkten gebrauchen.» Ebels Augen funkelten. «Wenn ich das Weibsstück verhöre, bekommen wir schon heraus, was wir wissen wollen.»
Robert blieb gelassen. «Das kann ich mir vorstellen, Ebel. Aber den Gefallen werde ich Ihnen nicht tun.»
Es war sehr ruhig im Modesalon. Lina setzte all ihre Hoffnung darauf, dass Finchen und Antonie die Nachricht, dass sie Zita entlassen hatte, schnell unter das Hausmädchenvolk brachten, aber es würde noch Zeit vergehen, bis das auch bei deren Herrschaften ankam. Und selbst dann war sie nicht sicher, ob sie ihre Kundinnen zurückerobern konnte.
Immerhin gab es Kundschaft im Stoffladen. Inzwischen hatte Lina auch schon einige der leichten Sommerkleider verkauft. Für einen kleinen Aufpreis nahmen die Näherinnen die nötigen Änderungen für die Käuferinnen vor, einfache Arbeiten wurden jetzt sogar sofort durchgeführt, Zeit war ja genug.
In der Werkstatt nähte man weiter Kleider, Schürzen und Kinderkleidchen, um die Zeit ohne Aufträge zu überbrücken. Lina hatte außerdem eine Anzeige aufgegeben, die auf die Möglichkeit hinwies, Kleidung nur ändern zu lassen.
Die glanzvolle Hochzeit im Hause Borgemeister begann am Morgen mit der schlichten Trauung im Rathaus durch den Bürgermeister. Am Nachmittag war dann die Trauung in der evangelischen Jakobuskirche. Lina hatte beschlossen, nicht zu der Hochzeit und der anschließenden Feier in der Gesellschaft «Erholung» zu gehen, obwohl sie eingeladen war und auch niemand diese Einladung widerrufen hatte. Sie ließ sich damit entschuldigen, dass der Commissar derzeit zu beschäftigt sei und sie nicht ohne Begleitung gehen wolle. Die
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