Das dunkle Netz der Lügen
dadurch gefährdet.» Sie blickte erst Finchen, dann Antonie in die Augen. «Ich muss euch um einen Gefallen bitten.»
«Jeden, Frau Borghoff, das wissen Sie doch», sagte Antonie fest.
«Ihr müsst so schnell wie möglich in der Stadt verbreiten, dass Zita entlassen wurde und keine Gefahr mehr besteht, dass hier Geheimnisse verraten werden», sagte Lina. «Es hängt sehr viel davon ab. Und es darf nicht so aussehen, als hätte ich euch das aufgetragen, ihr müsst es geschickt anstellen.»
«Wie viel dürfen wir erzählen?», fragte Finchen. «Auch dass es dem Commissar helfen sollte, die Diebe zu fassen?»
Lina überlegte kurz. «Nein, das bitte nicht. Ich weiß nicht, ob der Plan des Commissars nach Zitas Entlassung noch aufgehen kann, aber ein wenig Zeit müssen wir ihm noch lassen.»
«Wir gehen morgen früh zum Markt», sagte Finchen. «Wir treffen sicher viele Dienstmädchen dort.»
«Danke!»
«War es Simon, der das herumerzählt hat?», fragte Finchenplötzlich. «Er protzte damit, dass er dem Commissar geholfen hat, Annas Mörder zu fassen.»
«Ja. Aber er wusste nicht, was er damit anrichtete», antwortete Lina.
«Das weiß er nie», sagte Finchen mit versteinerter Miene. Lina fürchtete, beim nächsten Verbandwechsel würde Simon nicht zart angefasst werden.
Den ganzen Tag war Zita ziellos in der Stadt herumgelaufen. Sie wollte nicht, dass die dicke Martha von ihrem Rauswurf erfuhr. Denn jetzt gab es für sie kaum noch einen Grund, ihr Angebot abzulehnen. Am späten Nachmittag hatte sie sich ein Stück Brot und zwei Äpfel gekauft und war um die Baustellen der neuen Hafenbecken herum bis zum Ruhrufer gelaufen. An dem schönen warmen Tag ließ es sich hier gut sitzen und das Wasser betrachten.
So schnell konnte es also gehen mit dem Traum vom neuen Leben. Jetzt war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte: Zuerst hatte sie Hermann verloren, jetzt ihre Arbeit. In Ruhrort würde sie wohl keine neue mehr bekommen. Sie würde fortgehen müssen. Ihre Ersparnisse würden sie zwar nicht sehr weit bringen, aber für einen Neuanfang irgendwo würde das Geld reichen. Zumindest wenn sie schnell neue Arbeit fand. Aber noch konnte sie nicht weg von hier. Nicht solange Kellerer ihre Tochter in seiner Gewalt hatte.
Entschlossen stand sie auf. Sie musste Uli Weingart finden. Zwar hatte er ihr nie gesagt, wo in Ruhrort er untergekommen war, doch sie erinnerte sich an eine Pension, von der er gesprochen hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie das Haus fand. Aber ihre Hoffnung wurde enttäuscht: Die Wirtin erklärte ihr, dass er schon über einen Monat nicht mehr dort wohne.
«Die Polizei hat auch schon nach ihm gefragt. Scheint ein Halunke zu sein, der Kerl», sagte sie.
«Die Polizei? Wann?»
«Gestern.»
Auf gut Glück ging sie die Kneipen ab, in denen sie und Uli sich in den letzten Wochen getroffen hatten, aber er war nirgends zu finden.
Jetzt hatte Zita nur noch die Hoffnung, dass er wieder in der Nähe der Harmoniestraße auftauchte. Ein Blick auf die Kirchturmuhr sagte ihr, dass in der Werkstatt Feierabend war und jetzt wohl alle beim Abendessen saßen. Vorsichtig schlich sie an den beiden Läden vorbei. Der Gedanke an die Runde, die jetzt in der Küche beieinandersaß, und das gute Abendessen gab ihr einen Stich. Sie hatte viel verloren, nicht nur ihre Arbeit.
Sie wartete, bis die letzte Näherin und dann auch Otto das Haus verlassen hatte, aber Uli ließ sich nicht blicken. Schließlich gab sie auf und machte sich auf den Weg zu Marthas Bordell.
Als sie dort ankam und die Treppen hinaufstieg, folgte ihr plötzlich einer von Marthas starken Kerlen. «He, du!»
Zita wusste nicht einmal, wie der Mann hieß, nur dass er dafür zuständig war, unliebsame Gäste aus dem Bordell zu befördern.
«Du sollst deine Sachen packen und verschwinden.»
«Wer hat das gesagt?»
Er hatte sie eingeholt. «Martha, wer sonst. Und jetzt verschwinde.»
Zita schüttelte den Kopf. «Hat sie gesagt, warum?»
«Sie meint, Diebespack schadet dem Geschäft. Ihre Kunden müssten sicher sein, dass das, was hier geredet wird, auch hier bleibt.»
Zita nickte nur müde. «Ich packe meine Sachen.»
«Und ich sehe zu, damit du nichts mitgehen lässt, was dir nicht gehört.»
Wenig später stand Zita unten auf der Straße. Es hatte bereits zu dämmern begonnen, deshalb hütete sie sich, durch die Hurengasse zu gehen. Es war nicht die erste Nacht, die sie in ihrem Leben unter freiem Himmel verbrachte, aber ihr war
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