Das dunkle Netz der Lügen
triffst.»
Zita schaute ihn überrascht an. Damit hatte sie nicht gerechnet. «Ich verspreche es», sagte sie und schluckte. So viele Lügen.
«Ich lege mich ein paar Stunden hin.» Hermann zog sein Arbeitszeug und die schweren Schuhe aus. «Ich freue mich auf die Suppe. Und die beiden Groschen steck wieder ein. Die Miete ist erst in ein paar Tagen fällig.» Dann begann er sich zu waschen.
Die ganze Familie war im Hause Kaufmeister versammelt und mitten unter ihnen Mina, eine schöne böse Fee, ganz in Schwarz. Beide Jungen waren ihr seit der Kirche nicht von der Seite gewichen. Wenn es nicht so furchtbar gewesen wäre, was sie der Familie antat, Lina hätte die Raffinesse ihrer Schwester bewundert. Sie wusste, in der Kirche hätte keiner etwas gegen sie unternommen – weder Georg, der hochrot war und vor Wut kochte, noch der besonnene Polizist Robert.
«Ich will nur wissen, wie du von Justus’ Tod erfahren hast.» Wie üblich sprach Georg viel zu laut, wenn er sich aufregte. «Er hatte doch seit Jahren kein Lebenszeichen von dir.»
«Das lass meine Sorge sein.» Um Minas Lippen spielte ein kleines Lächeln. Lina bemerkte den Seitenblick auf ihren älteren Sohn. Emil, dachte sie. Wahrscheinlich hatte ihr Bruderdoch nicht alle Briefe vor ihm verbergen können. Josef saß neben ihr auf dem Sofa und klammerte sich an Mina, als fürchte er, weggerissen zu werden. Und genau das würde geschehen. Lina presste die Lippen zusammen.
«Der Bürgermeister hat dich zur unerwünschten Person in Ruhrort erklärt, Schwägerin.» Robert schien der Einzige im Raum zu sein, der nicht mit den widerstrebenden Gefühlen kämpfte. «Du hast deine Söhne gesehen, jetzt müssen wir dich bitten, zu gehen und auf der Stelle die Stadt zu verlassen.»
«Mein Schwager», sagte Mina hämisch. «Der kleine einäugige Polizist, den meine verkrüppelte Schwester geehelicht hat.»
Lina beobachtete, wie Josef den Mund verzog. Er war gern mit seinem Onkel Robert zusammen, und dass seine Mutter ihn so abfällig behandelte, schien ihm zu missfallen.
«Der Polizeichef dieser Stadt», sagte Robert, immer noch ruhig. «Du hast hier zwar schon genug Unheil angerichtet, aber bild dir nicht ein, dass ich nicht die Mittel hätte, dich notfalls mit einer Polizeieskorte aus der Stadt zu befördern. Nur weil wir in der Kirche kein Aufsehen erregen wollten, heißt das nicht, dass wir das Recht nicht durchsetzen werden.»
«Recht?» Mina setzte sich noch ein wenig gerader hin. «Justus hat Georg gegen meinen ausdrücklichen Willen die Vormundschaft übertragen.» Sie sah zu den beiden. «Wisst ihr nicht, dass ich schon vor fünf Jahren versucht habe, euch zu mir zu holen? Das habe ich mir gedacht: Euer Onkel hat euch all die Jahre belogen und behauptet, ich wolle nichts mehr von euch wissen.»
«Das war doch nur zu eurem Besten, Jungs», sagte Georg schwach. Emils Blick sprach Bände. Ihrer beider Verhältnis war nie sehr gut gewesen. Georg hatte sich nie sagen lassen, dass er mit Strenge bei dem schwierigen Emil nicht weit kam. Aber jetzt zeigte das Gesicht des jungen Mannes nur Hass fürseinen Onkel. «Eure Mutter hat euch damals im Stich gelassen und ist mit diesem … diesem …»
«Sie ist ohne euch weggegangen», unterbrach Lina ihren Bruder. Es hatte keinen Sinn, Mina jetzt schlechtzumachen. Die Jungen sahen nur ihre Mutter, die um sie kämpfte. «Euer Vater wollte euch in sicheren Verhältnissen wissen, deshalb bekam euer Onkel die Vormundschaft. Er und Tante Aaltje lieben euch wie ihre eigenen Kinder, das wisst ihr doch.»
Emil schnaubte nur kurz, und Aaltje fing an zu schluchzen. «Ich finde, wir sollten das unter Erwachsenen besprechen», sagte Lina knapp. «Eberhard, Beatrice, macht es euch etwas aus, Josef und Emil mit hinauszubegleiten?»
«Sicher, Tante.» Eberhard stand auf. «Kommt, ihr beiden.»
Josef und Emil rührten sich nicht von der Stelle.
«Ihr habt mein Wort», sagte Lina, «dass ihr sie noch einmal sehen werdet, bevor sie uns verlässt.»
Widerwillig verließen die Jungen mit Eberhard und Beatrice den Raum.
«Glaubst du, das ändert etwas, Schwester?» Mina sah Lina direkt ins Gesicht, und zum ersten Mal kam es Lina nicht so vor, als blicke sie in einen Spiegel.
Mina sah in die Runde. «Ich habe eure scheinheiligen Lügen vor den Jungen entlarvt. Sie werden euch nicht mehr vertrauen, niemandem von euch.»
«Und du denkst, dass du die Kinderen etwas Gutes tust?» Zum ersten Mal sagte Aaltje etwas. «Sie
Weitere Kostenlose Bücher