Das dunkle Netz der Lügen
letzte Worte. Der Mörder war nicht ihr Mann Walther gewesen, so viel stand fest. Sie kamen schließlich zu dem Schluss, dass sie ihren kleinen Sohn damit gemeint hatte, von dessen Tod sie erst hier im Hospital erfahren hatte.
Die Nacht war schon hereingebrochen, als Lina und Robert in ihrem Einspänner nach Hause fuhren. Peter, Georgs Stallknecht, war bereits nach Hause geschickt worden. Lina wollte nicht hinten Platz nehmen und war mit großer Mühe neben Robert auf den Kutschbock geklettert. Sie war erschöpft von den Geschehnissen des langen Tags und lehnte sich an ihn. Er bemerkte, dass sie weinte, und legte seinen Arm um sie.
«Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht besser auf sie aufgepasst habe», sagte er leise.
«In Duisburg war das doch nicht mehr deine Sache.» Lina kramte in ihrem Beutel nach einem Taschentuch, wischte sich die Tränen ab und schnäuzte sich.
«Ich hätte eben dem Staatsanwalt gegenüber hartnäckiger sein müssen. Aber alle Spuren in Ruhrort führen ins Nichts.»
«Es wäre einfacher, wenn wir den Grund für den Mord kennen würden.»
Robert runzelte die Stirn. «Der Grund für den Mord in Duisburg ist einfach: Sie muss den Täter, der sie in Ruhrort überfallen hat, gekannt haben. Aber wenn es ein Dieb war, der sie im Schlaf überrascht hat …»
«Nein, da muss mehr dahinterstecken», sagte Lina. «In dem Haus war doch nichts zu holen.»
«Wer weiß. Letzte Woche sind einem Tagelöhner zwei alte Pfannen gestohlen worden.»
Sie hatten die Fähre schon hinter sich gelassen und die Altstadt durchquert. Robert hielt wenig später an der Harmoniestraße und half seiner Frau vom Bock. Er selbst wollte noch Pferd und Wagen zu den Kaufmeisters zurückbringen.
Als er eine Dreiviertelstunde später nach Hause kam und sich zu Lina ins Bett legte, drängte sie sich an ihn. Eng umschlungen schliefen sie ein.
Wie üblich waren die Näherinnen und das Hauspersonal am nächsten Morgen in der großen Küche zusammengekommen. Die anderen waren so in ihre gewohnten Morgenschwätzchen vertieft, dass sie kaum bemerkten, wie still Finchen und ihr Mann Simon waren. Aber die beiden wussten bereits seit dem Abend von Annas Ermordung, und es war keine Überraschung für sie, dass Lina entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit zu den Angestellten in die Küche kam. Hinter ihr stand Robert in der Tür.
«Anna ist tot. Sie wurde gestern im Hospital in Duisburg erstochen», sagte Lina leise, aber jeder hatte sie verstanden. «Sie wird heute Nachmittag zurück nach Ruhrort gebracht. Ich werde mich persönlich um die Beerdigung kümmern.»
Susanna fing leise an zu weinen, Grete, der ebenfalls die Tränen in den Augen standen, strich ihr beruhigend über den Rücken.
«Ich weiß, dass ihr alle um Anna trauert.» Robert war hinter Lina hervorgetreten. «Aber ich werde mit jedem von euch heute noch ein Gespräch führen. Der Überfall in ihrem Haus erscheint jetzt in einem anderen Licht, deshalb muss ich alles wissen, was Anna in der Zeit davor getan und erzählt hat, auch wenn es euch vielleicht unwichtig erscheint. Ich werde euch nacheinander zu mir rufen.»
Zita hatte die ganze Zeit wie erstarrt zugehört. Sie hatte Anna ja kaum gekannt, trotzdem ging es ihr nah. Sie wusste, dass Weingart schnell gehandelt hatte, nachdem bekannt wurde, dass Anna noch lebte. Und es war wohl nicht schwierig gewesen, den Plan, der in Ruhrort nicht aufgegangen war, im Hospital der Duisburger Diakonie zu vollenden.
Den meisten war der Appetit vergangen. Still standen sie auf und machten sich an die Arbeit. Heute würde Elise von Sannberg zur Anprobe kommen, und alles musste bis dahin fertig sein.
Lina hatte bei Pfarrer Wortmann wegen Annas Beerdigung vorgesprochen. Die Duisburger Behörden würden die Leiche in einem einfachen Holzsarg nach Ruhrort überführen.
Um alles Weitere würde sie sich kümmern müssen, denn Annas Schwiegermutter und ihr Ehemann waren kaum eine brauchbare Hilfe.
Wie sich herausstellte, hatte die Familie Jansen keine weiteren Angehörigen und Anna keine Freunde außerhalb der Nähwerkstatt, deshalb beschloss Lina, den Leichenschmaus in ihrem Haus abzuhalten. Das Hauspersonal nahm mit ernstem Gesicht ihre Anweisungen entgegen und machte sich an die Arbeit.
Danach ließ Lina Zita zu sich kommen.
«Der Anlass ist traurig, aber ich hoffe, du kannst dich trotzdem freuen, Zita. Denn ab heute bist du eine vollwertige Näherin hier und nimmst Annas Platz ein.»
Zita saß mit gesenktem Kopf vor
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