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Das dunkle Netz der Lügen

Das dunkle Netz der Lügen

Titel: Das dunkle Netz der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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rennen.» Er reichte ihr die Hand und passte seinen Schritt ihrem Hinken an. Auch er war froh, an diesem Tag vor die Tür des stickigen Kontors zu kommen.
    Die «Josephine» lag im Inselhafen. Sie hatte Kohlen den Rhein hinauf bis nach Coblenz gebracht und von dort einige Luxuswaren mitgebracht, damit sie nicht leer fuhr. Man hatte gerade begonnen, die Ladung zu löschen, es waren etliche große Fässer Wein darunter. Levin Heinzmann hatte Lina an der Planke, die auf das Schiff führte, stehengelassen. «Tut mir leid, aber die Planke ist viel zu gefährlich für dich.»
    Doch das Treiben im Hafen war viel zu interessant, als dass Lina deswegen traurig gewesen wäre. Sie beobachtete die Arbeiter, die die Schiffe entluden oder sich auf Säcken und Fässern ausruhten. Ein paar Schiffersfrauen, manche mit einem kleineren Kind auf dem Arm, kletterten an Land, um in Ruhrort Einkäufe zu machen. Andere Frauen waren bunt herausgeputzt und hatten Lippen und Wangen grell angemalt. Lina, obwohl noch ein Kind, wusste, dass sie zu den Schiffern aufs Boot gingen und dort etwas Verbotenes, Sündiges taten, von dem sie keine Vorstellung hatte.
    Plötzlich wurde sie einer sehr jungen Frau auf der «Josephine» gewahr. Sie trug einen hellen Rock, der auf dem Schiff schon etwas gelitten hatte, aber keine Bluse, sondern nur ein schönes Mieder, das ihre recht üppigen Brüste heraushob. Um den Hals, nicht an einer Kette, sondern nur an einem Faden, trug sie ein goldenes Kreuz. Ihre Haut war weiß wie die einer feinen Dame, die langen blonden Locken hatte sie hinten zusammengebunden, trotzdem fielen manche ihr ungebändigt ins Gesicht. Lina fand sie schön wie einen Engel. «Na, Kleine», rief die junge Frau zu ihr herüber. «Möchtest du dir das Schiff ansehen?»
    «Das ist zu gefährlich», sagte Lina. «Ich bin ein Krüppel, weißt du.» Sie machte ein paar ungelenke Schritte auf die Planke zu.
    «Ach was!», rief die Schöne und kam über das schmale Brett zu ihr herüber. Ihr Lächeln ließ ihr Gesicht leuchten, und Lina dachte, dass sie niemals eine schönere Frau gesehen hatte.
    «Ich bin Kätt», stellte der Engel sich vor. «Und du?»
    «Lina Kaufmeister.»
    «Ich halte dich fest, komm nur.»
    Lina ergriff Kätts Hand, und gemeinsam balancierten sie über die Planke. «Ich zeige dir hier alles.»
    Lina war nicht das erste Mal auf einem Schiff, aber seit sie aus Italien zurück war, hatte ihr Vater sie nicht mehr wie früher mitgenommen, wenn er die Ladungen inspizierte. Zuerst hatte sie noch gedacht, dass sie vielleicht zu alt dafür geworden sei, so oft, wie sie sich Vorträge über das anhören musste, was junge Damen taten und was nicht. Aber dann bekam sie mit, dass ihre Zwillingsschwester Mina den Vater nach wie vor manchmal begleiten durfte, und hatte begriffen, dass ihr Vater sich nicht mehr so gern mit ihr zeigte, seit sie wegen ihrer steifen Hüfte so stark hinkte.
    Sie folgte Kätt und sah hinunter in den Laderaum, wo Levin und der Schiffer etwas miteinander besprachen. Und Kätt ließ sie auch in die kleine Kajüte des Schiffers schauen, wo sich in einer ungemachten Koje Kissen und Decken türmten. «Ist der Schiffer dein Vater?», fragte Lina. Sie hatte gesehen, wie der Mann Levin begrüßt hatte, und schloss daraus, dass er alt genug dafür wäre.
    Kätt schüttelte lachend den Kopf. «Nein, der Pitter ist mein Liebster. Ich bin in Coblenz einfach an Bord geblieben und mit hierhergefahren.»
    Lina runzelte die Stirn. «Und ihr seid nicht verheiratet?»
    «Na und?»
    «Das gehört sich doch nicht.»
    Der große Ernst, mit dem das kleine Mädchen dies sagte, schien Kätt zu amüsieren. «Vielleicht werden wir ja hier heiraten.» Ihr Lächeln wurde für einen Moment ganz verträumt. «Komm, ich bringe dich wieder zurück, sie sind sicher gleich fertig da unten.»
    Mit Kätts Hilfe gelangte Lina wieder an Land. Kätt schien auch ganz froh, festen Boden unter den Füßen zu haben. Sie lehnte sich an eines der großen Fässer, die dort abgestellt waren. Und plötzlich fiel Lina auf, wie die Männer sie anstarrten. Und wie Kätt diese Blicke genoss. Sie ist wie die anderen schlechten Frauen hier, dachte sie bei sich. Aber Kätt war viel schöner, obwohl sie sich nicht angemalt hatte.
    Levin kam vom Schiff herunter. «Na, hast du dich gelangweilt?», fragte er Lina, aber er sah nur Kätt an. Die reckte ihren Busen noch ein wenig höher. «Ich habe mich um die Kleine gekümmert, mein Herr.» Sie warf ihm ein strahlendes

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