Das Dunkle Netz Der Rache
helfen!« Ihr Zorn beflügelte sie, und sie versuchte den Mann zu verfolgen, der in der Dunkelheit verschwand. Die sechs Zoll Paketband, mit dem ihre Knöchel aneinandergefesselt waren, behinderte sie, und sie wäre mit dem Gesicht zuerst auf den schmutzigen Boden geknallt, wenn sie nicht ihre Arme vorgestreckt und sich abgefangen hätte. Endlich zahlten sich ihre Yogastunden aus.
»Ich habe dir geholfen.« Mittlerweile konnte sie ihn nicht mehr sehen. »Ich habe deine Hände befreit und dir was zu essen gegeben. Ich habe dir auf die Toilette geholfen …«
Ihr Gesicht brannte. »Du hältst mich genauso gefangen wie Shaun Reid.« Ihre Dankbarkeit gegenüber dem Mann, der dem Mörder ihres Bruders einen Namen gegeben hatte, hatte sich irgendwann zwischen dem Sandwich und der Pinkelpause verflüchtigt, als ihr klar wurde, dass er ihre Fußfesseln nicht ohne Grund an Ort und Stelle beließ. »Vermutlich steckst du mit ihm unter einer Decke.«
»Das stimmt nicht!«
Sie hatte in der einen Stunde, seit Randy Schoof in ihr Gefängnis gestolpert war, eine Menge über ihn gelernt. Erstens: Er hatte nur wenig Kontrolle über seine Emotionen, wenn überhaupt. Ihr Vater hätte die Augen verdreht, wenn er gehört hätte, wie Schoof seine Leidenschaft und seinen Neid offenbarte, als er über seine Frau sprach, sein Pech und Shaun Reid. Er gab alles von sich preis, und das nicht zu tun, das lernten die van der Hoevens schon mit vier Jahren.
Zweitens: Randy Schoof war nicht besonders helle. Sie meinte nicht seine Erziehung – sie kannte mehrere Umweltaktivisten, die keinen Schulabschluss hatten und dennoch blitzgescheit und belesen waren –, aber Randy gehörte nicht in diese Gruppe. Er schien wenig über die Welt zu wissen und auch kein Interesse daran zu haben. Sie vermutete, dass er unter den richtigen Umständen leicht zu täuschen war.
Drittens: Er hatte vor etwas Angst. Und das machte auch ihr Angst, denn er hatte die Selbstkontrolle eines Vierzehnjährigen mit ADS. Falls es Shaun Reid war, den er fürchtete, steckte sie in größeren Schwierigkeiten als vorher.
Sie setzte sich wieder. Sie musste ihn zu ihrem Freund machen. »Verrat mir einfach, warum wir hierbleiben müssen. Du weißt doch, dass ich Freunde und Verbindungen im ganzen Land habe. Ich kann dir helfen zu verschwinden.«
»Ich will nicht verschwinden. Ich will einfach mit Lisa in meinem Haus bleiben.«
»Lisa könnte mit dir kommen. Ich habe schrecklich viel Geld, weißt du.« Verglichen mit dem Vermögen ihrer Eltern zu deren Glanzzeit war sie praktisch arm. Aber sie war ziemlich sicher, dass sie in Randy Schoofs Augen reich war.
»Ich will keine Almosen.« Er war nur ein Schattenriss, als er sprach. Das Mondlicht aus dem Fenster über ihnen warf ein paar Meter von ihnen entfernt seine Strahlen auf den Boden. »Ich will keine besonderen Gefälligkeiten. Ich will nur die Chance, draußen in den Wäldern ein vernünftiges Leben zu führen. Mehr nicht. Aber weißt du, Typen wie ich haben immer Pech. Wenn man nicht schon vor vierzig Jahren im Geschäft war so wie Ed Castle, kann man es vergessen.«
»Hör mal, ich sage doch nur, dass ich dir helfen kann. Aber du musst mir auch helfen.«
»Das werde ich. Aber erst müssen wir noch eine Weile hierbleiben. Bald rufe ich meine Frau an, und dann sehen wir weiter.«
Theoretisch hielt sie nichts davon ab, aufzustehen und quer durch die Halle zur Tür nach draußen zu hoppeln. Dennoch hatte sie so eine Ahnung, dass er sie mit Gewalt zurückhalten würde, wenn sie es versuchte. Ihre Arme waren nicht gefesselt, aber sie machte sich keine Illusionen. Er hatte sie auf das alte stinkende Wasserklosett getragen, und obwohl er nicht viel größer war als sie, war er gebaut wie ein Adirondackfelsen. Es war, dachte sie, eine Art von Spiel. Wenn sie ihn in eine Lage brachte, in der er glaubte, sie in ihre Schranken weisen zu müssen, hatte sie verloren. Um weiterspielen zu können, musste sie an seiner Seite bleiben.
»Warum rufst du sie dann nicht an?«
Sie spürte eher, als dass sie es sah, wie er nachdachte.
»Ich werde nicht versuchen abzuhauen«, versprach sie. »Wenn du willst, kannst du meine Hände wieder fesseln.« Sie zwang sich zu kichern. »Aber es wäre mir lieber, du bindest sie vorn zusammen, nicht hinten. Meine Schultern tun immer noch weh.«
»Na ja …«
Sie stopfte ihre Angst und Verzweiflung in eine winzige, schmale Schachtel und verstaute sie im Hintergrund ihres Verstands. Sie sprach mit ihrem
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