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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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dann …
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
    Ich presse eine Hand an meine Schläfe. »Wie macht Ihr das?«
    »Man kann sich den Lärm auch zunutze machen, Todd«, erklärt er mir. »Wenn man genügend Selbstbeherrschung hat. Und der erste Schritt auf dem Weg dorthin ist es, das richtige Werkzeug zu benutzen.«
    »ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH?«
    »Es ist ein Mittel, um sich zu konzentrieren«, nickt er zustimmend, »ein Mittel, mit dem man seinen Lärm ausrichten, an die Kandare nehmen kann, ihn kontrollieren kann, und ein Mann, der seinen Lärm beherrschen kann, ist ein Mann, der im Vorteil ist.«
    Ich erinnere mich an den Singsang damals in seinem Haus im alten Prentisstown, daran, wie schrill und schaurig sein Lärm klang, verglichen mit dem Lärm der anderen Männer, wie sehr er sich anfühlte wie eine …
    Wie eine Waffe.
    »Was ist der Kreis?«, frage ich.
    »Deine Bestimmung, Todd Hewitt. Ein Kreis ist ein geschlossenes Gebilde. Es gibt keine Möglichkeit, daraus zu entkommen, deshalb ist es einfacher, du wehrst dich erst gar nicht dagegen.«
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH.
    Nur dass diesmal meine Stimme auch mit dabei ist.
    »Es gibt so vieles, was ich dir gerne beibringen würde«, sagt er und geht, ohne mir Gute Nacht gesagt zu haben.
    Ich gehe an den Wänden des Glockenturms auf und ab und blicke hinaus in Richtung Westen, wo die Wasserfälle sind, nach Süden, dorthin, wo der Berg mit der tiefen Einkerbung sich erhebt, und nach Osten, zu den Hügeln, die sich bis zum Kloster hinziehen, das man aber vor hier aus nicht sehen kann. Alles, was man sehen kann, ist New Prentisstown, eingemummt und zusammengedrängt gegen die heraufziehende Kälte der Nacht.
    Irgendwo da draußen ist sie.
    Es ist schon einen Monat her und sie ist nicht wiedergekommen.
    Einen Monat und …
    (Halt die Klappe.)
    (Verdammt noch mal, halt die Klappe und hör auf zu jammern!)
    Ich fange wieder an, auf und ab zu laufen.
    In die Maueröffnungen haben sie jetzt Glas eingesetzt, und einen Ofen haben wir auch, der uns vor der Herbstkälte schützt. Wir haben auch mehr Decken bekommen und ein Licht und ein paar sorgfältig ausgesuchte Bücher für Bürgermeister Ledger.
    »Aber es ist immer noch ein Gefängnis«, sagt er in meinem Rücken und kaut mit vollem Mund. »Ich bin der Meinung, er hätte inzwischen wenigstens für dich einen besseren Platz suchen können.«
    »Ich wünschte nur, dass nicht jeder glaubt, er müsste die ganze gottverdammte Zeit über in meinem Lärm lesen«, antworte ich, ohne mich umzudrehen.
    »Er möchte wahrscheinlich nicht, dass du in der Stadt bist«, sagt er und isst die letzten Löffel seines Abendessens, das jetzt nur noch etwa halb so üppig ausfällt wie sonst. »Er möchte nicht, dass du die Gerüchte hörst.«
    »Welche Gerüchte?«, frage ich, obwohl es mich eigentlich gar nicht interessiert.
    »Oh, Gerüchte darüber, wie gut unser Bürgermeister Gedanken kontrollieren kann. Gerüchte, dass er den Lärm als Waffe nutzen kann. Wenn die Leute munkeln, er könne fliegen, dann würde ich es auch glauben.«
    Ich schaue ihn nicht an und versuche meinen Lärm klein zu halten.
    ICH BIN DER KREIS , denke ich. Aber dann höre ich auf damit.
    Mitternacht ist schon vorüber, als die erste Bombe hochgeht.
    Wumm!
    Ich schrecke ein bisschen auf meiner Matratze hoch, mehr aber auch nicht.
    »Wo, glaubst du, war das?«, fragt mich Bürgermeister Ledger, der genau wie ich auf seinem Bett liegen bleibt.
    »Es klang, als ob es aus dem Osten käme«, antworte ich. »Vielleicht ein Lebensmittellager?«
    Wir warten. In der letzten Zeit ist immer eine zweite Bombe explodiert. Wenn die Soldaten dorthin laufen, wo die erste Bombe explodiert ist, dann nutzt die Antwort das aus und lässt irgendwo eine zweite hochgehen …
    Wumm!
    »Da haben wir’s«, sagt Bürgermeister Ledger, er setzt sich in seinem Bett auf und schaut hinaus.
    Ich stehe auf.
    »Verdammt«, sagt er.
    »Was ist?«, frage ich und stelle mich neben ihn.
    »Ich glaube, das war das Wasserwerk unten am Fluss.«
    »Und was heißt das?«
    »Das heißt, dass wir jedes Glas Wasser abkochen …«
    Wumm!
    Ein riesiger Blitz zerreißt die Nacht und Bürgermeister Ledger und ich weichen schnell vom Fenster zurück. Die Scheiben klirren.
    Und in ganz New Prentisstown gehen die Lichter aus.
    »Das Elektrizitätswerk«, sagt Bürgermeister Ledger ungläubig. »Das wird doch rund um die Uhr bewacht. Wie sind sie nur dort

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