Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
immer noch sehr viel Angst, und ich glaube nicht, dass er ohne mich zurechtkommt.
Ich will Dir jedoch auch den zweiten Grund meines Entschlusses nicht verschweigen. Ich habe mich verliebt. Sehr glücklich verliebt.Lange Zeit habe ich dagegen angekämpft, weil ich mich dir verbunden fühlte und weil ich, aber auch Vater, Dir so unendlich viel zuverdanken haben. Unser neues Leben wäre ohne Dich undenkbar.
Deshalb habe ich gegen eine neue Liebe angekämpft, aber seit sehrkurzer Zeit weiß ich, dass ich diesen Kampf verloren habe und ich bin glücklich darüber. Der Mann ist Andrea Savinio, du kennst ihn, der Mann, der meinem Vater jedes Jahr die Ringelblumen abkauft. Er hat sich um uns hier gekümmert und sich unmerklich in mein Herz geschlichen. Und nun gehört es ihm. Es ist so. Aber im Augenblick, da ich Dir diese Zeilen schreiben muss, will es vor Schmerz zerbrechen. Leb wohl.
Deine Christiane
Die Mail von Christiane war frühmorgens gekommen. Georg Dengler las den Text einmal, zweimal, dreimal, so oft, dass er es nicht mehr zählte. Als er die Augen vom Bildschirm hob, war ihm immer noch nicht klar, ob er Christianes Zeilen wirklich verstanden hatte.
Sie verließ ihn. Sie liebte einen anderen. Es war endgültig.
Er wollte aufstehen. Und blieb sitzen.
Er versuchte, den Brief erneut zu lesen.
Doch die Zeichen auf dem Bildschirm verschwammen.
Mit der rechten Hand stützte er sich auf dem Tisch auf und hob seinen Körper aus dem Stuhl. Es gelang ihm erst beim zweiten Mal. Mit zwei Schritten stand er am Fenster, sah hinaus auf das Schneetreiben und sah es doch nicht. Er atmete tief durch.
Dann ging er zurück zum PC.
Das Telefon klingelte.
Er meldete sich und wunderte sich, dass seine Stimme so ruhig wie immer klang.
»Föll hier. Anton Föll. Erinnern Sie sich noch an mich?«
Dengler erinnerte sich. Dieser Mann war sein erster Klient gewesen. Er hatte seine Frau verdächtigt, ihn zu betrügen. Denglers Nachforschungen ergaben, dass er Recht hatte. Seine Frau suchte erotische Abenteuer, aber sie liebte ihren Mann, und sie liebte die beiden gemeinsamen Kinder. Niemals, so hatte sie Georg Dengler erklärt, werde sie ihre Familie verlassen. Und so hatte Dengler dem Mann erklärt, seine Nachforschungen hätten ergeben, dass seine Frau ihm treu sei. Georg Dengler fühlte sich damals wie jemand, der eine Ehe gerettet hatte.
»Ich hab' da was in ihrer Handtasche gefunden«, sagte der Mann am Telefon langsam.
Dengler versuchte sich zu konzentrieren. Warum liebte Christiane ihn nicht mehr? Was hatte er falsch gemacht? Hätte er mit ihr zusammen nach Italien reisen sollen? Aber womit hätte er dann seinen Lebensunterhalt verdienen sollen?
»Erst dachte ich, ich sehe falsch«, sagte Föll.
Dengler hatte diesen Schritt verstanden. Sie wollte sich um ihren Vater kümmern. Er war von bewaffneten Killern angegriffen worden. Dengler hatte ihn gerettet. Sie waren sich nach dem Kampf auf dem Anwesen ihres Vaters in Italien vorgekommen wie zwei verlorene Schiffbrüchige. Wie zwei verzweifelt Überlebende. Vielleicht, dachte er, war das keine gute Basis für eine Liebe.
»Hallo, Herr Dengler, hören Sie mich ...?«, rief es aus dem
Hörer.
»Ja, Herr Föll, ich höre Sie gut. Können Sie in einer Stunde
im Basta sein? Den Weg kennen Sie doch noch?«
Föll versprach in einer Stunde da zu sein, und Dengler legte
auf.
Noch eine Stunde Zeit.
Er las Christianes Brief noch einmal.
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16. Es waren zwei Kondome
»Es waren zwei Kondome«, sagte Föll, »Pariser, Sie wissen schon ... Sie fielen aus ihrer Handtasche.«
Dengler sah den Mann an.
Föll war schweißnass. Seine Unterlippe zitterte ein wenig. Er tat Dengler Leid.
»Warum fragen Sie Ihre Frau nicht einfach?«, sagte er.
»Geht doch nicht«, sagte Föll, »sie denkt sofort, ich hätte in ihrer Handtasche rumgeschnüffelt.«
»Und? Haben Sie?«
»Na ja«, sagte Föll.
»Und vielleicht waren die Kondome für Sie bestimmt. Für den ehelichen Verkehr, gewissermaßen.«
Föll schüttelte den Kopf.
»Wir ...«, er schien nach Worten zu suchen, »so selten wie wir, wir ... brauchen so was nicht.«
»Sie kennen ja meine Preise«, sagte Dengler, »80 Euro die Stunde, vier Stunden müssen Sie anzahlen, plus 100 Euro Spesen.«
»Aufgeschlagen. Ihre Preise haben aufgeschlagen ...«, sagte der Mann.
»Nur fünf Euro.«
»Aber pro Stunde.«
»Pro Stunde«, bestätigte Dengler, und Föll zog seine Brieftasche.
* * *
Christianes Brief stand immer noch
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