Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
bestand Chicago aus einer Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten, jede mit ihrer eigenen ethnischen Zusammensetzung, ihren eigenen Stadtkernen, ihrem eigenen Leben.
Und er sah den See, groß wie ein Meer, der sich an die Stadt schmiegte, den Streifen Sandstrand sah er, der sich weiß an den Wolkenkratzern vorbeizog und sich am Horizont verlor. Und dahinter, nahezu unendlich in einer blau-grauen Farbe, die South Side, das Getto der Schwarzen. Dort irgendwo lag Theresa's Lounge. Vielleicht würde er heute Abend schon dort sein.
Das Flugzeug landete sanft und rollte aus. Aber es brauchte fast eine halbe Stunde, bis es seine endgültige Position erreicht hatte. Die Passkontrollen liefen erstaunlich schnell ab. Dengler stellte sich in die Schlange der Wartenden, die sich an einer blauen Linie auf dem Boden ausrichtete. Schließlich stand er vor einem schwergewichtigen schwarzen Zöllner, und dieser fragte ihn nach dem Grund seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten.
»Ich will den Blues hören.«
Der Zöllner fixierte ihn überrascht und fragte ihn, ob er deshalb den Ozean überquert habe. Er winkte Dengler sofort weiter, als dieser die Frage mit einem Kopfnicken beantwortete.
* * *
Durch die Tür der Ankunftshalle trat Dengler unvermittelt ins Warme. Er blieb einen Augenblick stehen, die Tür des Flughafens zischte hinter ihm zu.
Die sommerliche Hitze überraschte ihn. Er schätzte die Temperatur auf 28 Grad. Aus dem Reiseführer wusste er, dass ihn vom O'Hare eine Bahnlinie nach Downtown bringen würde. Tatsächlich fand er eine kleine Bahn, wunderte sich, dass man dafür keine Tickets lösen musste, stellte jedoch nach der zweiten Rundfahrt fest: Dies war eine Linie, die die verschiedenen Teile des riesigen Flughafens miteinander verband. Er stieg beim nächsten Stop aus, verlief sich, fand die gesuchte Bahn nicht und setzte sich schließlich in ein Taxi.
Der gewaltige, grün lackierte Wagen schaukelte ihn einen endlosen Freeway hinunter und setzte ihn vor dem Hotel ab, das er über das Internet von Stuttgart aus gebucht hatte. Er zeigte das Reservierungsformular vor, das er in seinem Büro ausgedruckt hatte, und bekam sofort die kleine Chipkarte ausgehändigt, die ihm als Zimmerschlüssel diente. Wenig später stand er in einer kleinen Suite im neunten Stock des Hotels und sah durch eine Panoramascheibe hinaus.
Kurz nach acht Uhr fischte er sich vor dem Hotel eines der großen grünen Taxis aus dem Verkehr. Bevor er dem Fahrer, einem jungen Pakistani, erklären konnte, wo er hin wollte, war dieser schon losgefahren.
»Bringen Sie mich bitte in die Indiana Avenue, Ecke 47th Street«, sagte er zu dem Fahrer.
Der Pakistani fuhr sofort an den Straßenrand und hielt. Er drehte sich zu Dengler um.
»Sir, diese Gegend ist viel zu gefährlich für einen Touristen. Was wollen Sie dort?«
Dengler wunderte sich.
»Ich möchte in einen Bluesclub.«
»Zu gefährlich diese Gegend. Ich bringe Sie zu einem Club hier in der Nähe. Nicht so gefährlich.«
Dengler lachte: »Nein, ich will in einen bestimmten Club.«
»Sorry – ich fahre nicht in die Indiana Avenue.«
Dengler stieg aus.
Hielt das nächste Taxi an.
»Indiana Avenue, Ecke 47th Street?«, sagte er, bevor er einstieg.
Der Fahrer gab wortlos Gas und ließ ihn am Straßenrand stehen.
Verblüfft sah Dengler dem verschwindenden Wagen nach.
Erst das dritte Taxi nahm ihn mit.
Der Fahrer brachte ihn durch ein Gewirr von Straßen und erreichte dann die große Straße am See.
Der Lake Shore Drive.
Dengler kannte diese berühmte Straße aus den Romanen von Sara Paretsky. Ihre Heldin, die Privatdetektivin Warshawski, fuhr häufig diesen Weg auf der Jagd nach üblen Typen, meist irgendwelchen Ganoven aus der Wirtschaftswelt. Dengler mochte die Abenteuer seiner weltberühmten Kollegin. Eine Zeit lang hatte er alle Bücher von Sara Paretsky verschlungen, doch dann schien die Autorin die Freude an ihrer Figur verloren zu haben. Die Romane erschienen seltener, in Erinnerung blieben Dengler zwei wesentliche Schauplätze, der Lake Shore Drive und der Loop.
Er sah zum Fenster hinaus. Auf der linken Seite lag die Seepromenade, der Jachthafen, auf der rechten Seite schob sich immer wieder der Hancock Tower zwischen die Gebäude an der Sea Side. Er sah das Shedd Aquarium, das Field Museum auf der linken Seite und rechts die unzähligen Eisenbahnstränge, die einst Chicago zur Drehscheibe zwischen den Agrarstaaten des Ostens und den großen Städten im Westen
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