Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
gemacht hatten. Das Taxi kam am Station Soldier Field vorbei, und Dengler erinnerte sich an eine Liveaufnahme von Gratful Dead, die an diesem Ort aufgenommen wurde. Dann änderte sich das Straßenbild. Die Promenade war nicht mehr beleuchtet, der See lag nur dunkel auf der linken Seite, Industrieanlagen auf der rechten. Irgendwann bog das Taxi nach rechts in eine breitere Straße ein. Dann links in eine schmalere. Der Taxifahrer ließ die Scheiben hochschnurren, und mit einem metallenen Geräusch verriegelte er die Wagentüren.
Diese Straße war kaum ausgeleuchtet. Auf den Bürgersteigen hockten Gruppen von Männern. Dengler sah einen erleuchteten Liqueur Shop. Davor eine Traube von Schwarzen. Große Wohnblocks säumten nun die Straßen. Einige der Blocks waren zerstört, die Fenster zerschlagen oder herausgerissen, andere Blocks waren völlig ausgebrannt.
Dengler kam es vor, als führen sie durch ein Kriegsgebiet.
Durch ein Gebiet, das unter schwerem Artilleriebeschuss gelegen hatte.
Nun bog der Fahrer in die South Indiana Avenue ein. Georg Dengler konzentrierte sich. An der nächsten Ecke kreuzte die 41st Street. Hier, das wusste er aus seinen Vorbereitungen, hörten die meisten Stadtpläne von Chicago auf, als würde das Getto nicht mehr zur Stadt gehören.
Endlich hielt der Fahrer. Dengler bezahlte und bat ihn, einige Minuten zu warten, falls er Theresa's Lounge nicht finden sollte. Doch kaum hatte er die Wagentür zugeschlagen, gab
der Fahrer Gas und fuhr davon.
Dengler sah sich um.
Die Straße war belebt.
Er war der einzige Weiße auf der Straße.
Gruppen von Schwarzen gingen an ihm vorbei. Zwei junge Männer fragten ihn etwas in einem englischen Idiom, das er
nicht verstand.
Furcht beschlich ihn.
Kam er hier jemals wieder weg?
Er wechselte die Straßenseite.
Und sah das Schild.
Theresa's Lounge – Live Entertainment.
Fri.-Sat.-Sun.-Mon.: Featuring Junior Wells Band
Er war angekommen.
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46. Der Volkssturm war in Reih und Glied angetreten
Der Volkssturm war in Reih und Glied angetreten.
Etwa dreißig Männer hatten sich vor dem Gündlinger Spritzenhaus eingefunden. Albert Roth brauchte sie nur anzusehen: Hier wollte keiner mehr Krieg führen. Zwei Drückeberger aus der Gemeindeverwaltung, einige Pensionäre der Bruchsaler VEW-Werke, ein anderer leicht verletzter Soldat und weitere Männer, die nichts anderes wollten, als ihr Leben in den nächsten Tagen behalten.
Neben Albert Roth stand sein Sohn, der das Geschehen neugierig betrachtete. Für ihn war das Ganze ein Abenteuer. Auch einige andere Männer hatten ihre Söhne mitgebracht, selbst wenn diese noch nicht im Volkssturmalter waren. Aus dem gleichen Grund wie Roth: Sie wollten, das sie selbst und ihre Söhne die letzten Tage des Krieges lebend überstanden. Hier sind wir beide vor dem Heldenklau sicher.
Allein die Bewaffnung war vollkommen lächerlich: Sie hatten einige Gewehre, davon zwei aus tschechischer Kriegsbeute, fünf italienische Fucile Modello 41 , drei MP 44 Sturmgewehre, von denen er sich eines gesichert hatte, einige Handgranaten und drei Panzerfäuste.
Mit dem Kompanieführer des Gündlinger Volkssturms schien Roth Glück zu haben. Es war der Besitzer einer hiesigen kleinen Fabrik, und dessen Sohn Fritz war der Freund von Albert Roths Sohn Kurt. Die beiden Buben hatten die Fallschirmlandung eines amerikanischen Fliegers beobachtet und dies der Polizei gemeldet. Eine Belohnung wurde ihnen versprochen. Kurt, der ältere und wagemutigere der beiden, hatte gefragt, wann sie die Belohnung bekämen. Der Bürgermeister hatte etwas von »Nach dem Endsieg« gemurmelt – und sich dann klammheimlich abgesetzt.
»Stillgestanden!« Der Kompanieführer legte einen forschen Ton an den Tag.
Eine kaum merkliche Spannung zog sich durch die Reihe des Gündlinger Volkssturms. Die beiden Buben, die nebeneinander standen, feixten. Kurt hielt ein Bein hoch, und Fritz grüßte militärisch, konnte sich aber ein Lachen nicht verkneifen.
»Ruuuhe«, brüllte der Kompanieführer.
Der schien es ernster zu meinen als die meisten anderen hier.
Er fixierte die Reihe und starrte wütend die beiden Jungen an.
»Der Größe nach antreten!«, kommandierte er nun.
Müde gruppierte sich der Haufen um.
»Schneller. Schlaft nicht ein!«
Die Buben standen nun ganz vorne in der Reihe. Roth war der Zweitletzte.
»Wir werden die Amerikaner mit einer Panzersperre empfangen.«
Albert Roth dachte, er habe sich verhört.
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47. Dengler
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