Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
noch eine weitere spitze Bemerkung loswerden, hatte sogar schon den Mund geöffnet, als plötzlich eine Stimme die Stille auf der menschenleeren Straße zerriss: »Waterwalker!«, schrie eine Frau.
Sie stand im Eingang eines Schneiderladens gegenüber der Konstablerkaserne. Edeards Fernsicht hatte sie bereits wahrgenommen, als sie sich noch auf der letzten Treppe befanden, doch sie hatte keinerlei Waffen bei sich. Allerdings war sie in Begleitung dreier Kinder, was recht ungewöhnlich zu dieser Tageszeit war, doch nichts, was ihn beunruhigen musste. Er hatte angenommen, sie wäre in aller Frühe zu dem Fest aufgebrochen. Jetzt kam sie über die Straße auf ihn zu, im Schlepptau ihre verschlafenen, elend aussehenden Kinder. Das älteste war bestenfalls fünf, während das jüngste, ein Mädchen, kaum alt genug war, um zu laufen.
»Wo soll ich hin, Waterwalker?«, stellte sie ihn angriffslustig zur Rede. »Sag’s mir, na? Wohin?«
»Was?«, fragte Edeard verständnislos. Macsen eilte zu ihnen herüber.
»Was sollen meine Kinder essen? Frag ihn, Dannil, los, frag den großen Waterwalker, von wem du deine nächste Mahlzeit kriegst.« Das mittlere Kind, ein Junge in einem zerlumpten grünen Pullover und zerschlissenen grauen Hosen, wurde nach vorne gestoßen. Er blickte zu Edeard auf, und seine Lippen begannen zu beben. Dann brach er in Tränen aus. »Ich will meinen Papa!«, heulte er.
»Was?«, fragte Edeard abermals.
»Eddis, mein Mann«, blaffte die Frau. »Du hast ihn ins Exil geschickt. Ihn aus seinem eigenen Haus geworfen. Wir wohnen in der Fonscale Street. Und jetzt kommt ihr Scheißkerle daher und sagt ihm, dass er aus Silvarum verbannt wurde, wo wir sieben Jahre lang gelebt haben. Er kann nicht nach Hause. Kann nicht zurück in das Haus, in dem meine Familie seit drei Jahrhunderten wohnt. Was für ein Gesetz soll das sein, hä? Also raus mit der Sprache, wo soll ich hin? Wie soll ich ohne ihren Vater die Kinder ernähren? Hä? Antworte mir, du zurückgebliebenes Stück Scheiße vom Lande.«
Edeard starrte sie einfach nur an, schockiert und sprachlos. Boyd indessen stöhnte und verdrehte flehentlich die Augen gen Himmel. »Oh verdammt«, ächzte er.
Kanseen dagegen wirkte fast unbeteiligt. »Wie habt Ihr sie denn vorher ernährt?«, fragte sie. »Was für eine Arbeit hat Euer Mann?«
»Fahr zum Honious, du Miststück. Ihr habt uns das eingebrockt. Habt unser Leben zerstört.«
»Was für eine Arbeit?«
»Eddis ist ’n guter Mann. Hat immer Essen für uns auf den Tisch gebracht. Er liebt seine Kinder.«
»Eure vielleicht«, entgegnete Kanseen. »Aber anderen Kindern hat er wehgetan, stimmt’s? Hat sie bedroht, sie geschlagen, ihre Eltern gezwungen, ihm das Geld zu geben, für das sie hart gearbeitet hatten.«
»Das ist nicht wahr.« Sie hielt dem ältesten Jungen die Ohren zu. »Nichts als Lügen. Das ist alles, was ihr könnt: lügen! Fahrt zum Honious, alle miteinander. Eddis hat im Schlachthof auf der Crompton Alley gearbeitet. Schmutzige Arbeit, harte Arbeit, die kein Genistar verrichten kann.«
»Ihr wisst, was er gemacht hat«, fauchte Kanseen. »Wenn Ihr ihn vermisst, dann geht zu ihm, folgt ihm in sein neues Zuhause. Aber merkt Euch, wir werden die Stadt von seinesgleichen säubern. Schon Ende des Jahres wird es Leute seines Schlags hier nicht mehr geben.«
Die Frau spuckte Kanseen an, die die Attacke mit ihrer dritten Hand abwehrte. Inzwischen weinten alle drei Kinder.
»Ich möchte, dass Ihr Eddis von mir etwas ausrichtet«, sagte Edeard. »Sagt ihm, dass er, wenn er sich von den Banden lossagt, wenn er sich eine anständige Arbeit sucht – und es ist jede Menge davon zu haben –, dass er dann in der Fonscale Street wieder willkommen sein wird. Ich werde die Ermächtigung persönlich widerrufen. Das ist alles, was er tun muss.«
»Leck mich!« Die Frau zerrte an ihren Kindern. »Du weißt nichts über das Leben. Ivarl wird noch auf deiner Asche tanzen. Und kein Skylord wird jemals deine Seele erretten.«
Macsen tippte an den Rand seiner Mütze, als sie wütend davonstapfte. »Vielen Dank, gnädige Frau, es ist stets ein Vergnügen, der Bürgerschaft zu helfen«, sagte er. Aber er sagte es nicht sehr laut.
»Alles klar mit dir?«, fragte Kanseen.
»Ja, sicher.« Edeard nickte unsicher. »Ja, ich denke, schon. Herrin, wie viele Familien wurden so auseinandergerissen?«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Kanseen ungläubig. »Was ist mit den Familien von Eddis Opfern? Den Menschen,
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