Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
gestorben war. Es gab also keinen männlichen Erben; ein beinahe nie da gewesener Fall in Makkathran. Und sehr zum Verdruss von Lorin, Julans jüngerem Bruder, gab es im gesetzlich verbrieften Anspruch der Culverit-Familie auf den Haxpen-Distrikt eine Klausel, die eine Fortsetzung der Linie durch eine Tochter erlaubte, so denn kein Sohn das Erbe antreten konnte. Eine Situation, die in der zweitausend Jahre währenden Geschichte Makkathrans erst zweimal eingetreten war.
Infolgedessen hatte sich Julan von einem Gutteil seiner Verwandten ziemlich entfremdet, während Kristabel zum begehrtesten Mädchen der Stadt avancierte, dem jeder adlige Sohn unter allen Umständen vorgestellt werden wollte. Auf jedem Ball wurde sie von potenziellen Bewerbern förmlich umlagert. »Und Herrin, ich sag dir, sie ist noch dazu ein wahnsinnig hübsches Ding«, hatte Macsen seine Ausführungen schwärmerisch beendet.
»Wir haben ein Problem«, verkündete Walsfol, kaum dass der Trupp auf die hohe Terrasse geführt worden war. »Ohne Zweifel wird es bis zum Frühstück die ganze Stadt wissen, aber Mirnatha wurde entführt.«
Edeard riskierte einen fragenden Seitenblick auf Dinlay.
»Die zweite Tochter«, klärte Dinlay ihn über direkten Longtalk auf.
»Das tut mir schrecklich leid, Sir«, sagte Edeard zu Julan. »Natürlich stehe ich, wenn ich irgendetwas tun kann, um zu helfen, zu Euren Diensten.«
Julans Schmerz wich gerade lang genug, um Edeard mit einem wütenden, abschätzigen Blick anzustarren. »Ihr könntet damit anfangen, mir das hier zu erklären.«
Edeard sah ihn konsterniert an und wandte sich dann hilfesuchend zu Walsfol. Der Hauptkonstabler nahm Julan behutsam den Zettel aus der Hand und reichte ihn Edeard. »Ein Ge-Adler hat ihn vor nicht ganz einer Stunde gebracht.«
Mit sinkendem Herz las Edeard die Nachricht:
Mirnatha ist sehr süß. Der Preis dafür, dass sie lebend – und immer noch süß – zu Euch zurückkehrt, beträgt achttausend Goldguineen. Falls Ihr mit dem Preis einverstanden seid, setzt heute Nachmittag auf dem Orchard-Palast eine gelbgrüne Flagge.
Der Waterwalker soll uns das Geld persönlich übergeben. Er wird sich um Mitternacht in die Jacob’s-Hall-Taverne in Owestorn begeben. Dort wird er weitere Instruktionen erhalten. Sollte jemand bei ihm sein oder er versuchen, sie uns ohne Zahlung des Lösegelds wieder zu entreißen, wird sie getötet.
»Oh Herrin, nein«, stöhnte Edeard.
»Ich kann Euch nicht befehlen, das Geld zu übergeben«, sagte Walsfol.
»Das müsst Ihr auch nicht, Sir, natürlich übernehme ich das. Äh … habt Ihr das Geld?«, fragte er Julan. Mit einer solchen Summe hätte man die Provinz Rulan kaufen können und immer noch genug für eine Flotte der schnellsten Handelsschiffe übrig gehabt.
»Es lässt sich auftreiben, ja.«
»Wo liegt Owestorn?«
»Das ist ein Dorf draußen in der Iguru«, sagte Dinlay. »Vielleicht ein Zwei-Stunden-Ritt vom Südtor.«
Ein ziemliches Stück entfernt von jeglicher möglichen Hilfe, realisierte Edeard, und nicht einmal er besaß einen so weit reichenden Longtalk. »Die Nachricht wurde nach Mirnathas Entführung überbracht«, sagte er vorsichtig. »Gibt es irgendeinen Beweis dafür, dass sie auch von denen stammt, von denen sie festgehalten wird?«
Julan hob seine Hand. Seine Finger umklammerten ein blaues Band mit einer langen goldbraunen Haarsträhne. »Das hier war daran befestigt.«
»Ich verstehe.«
Jetzt rannen Tränen über die Wangen des alten Mannes. »Das Band stammt von ihrem Nachtgewand. Das weiß ich genau. Ich hab ihr noch einen Gutenachtkuss gegeben. Ich gebe meiner Mirnatha jeden Abend einen Gutenachtkuss. Sie ist so lieb –« Er begann zu weinen, schluchzte hilflos. Walsfol ging zu ihm, um ihn zu trösten. »Wir werden sie für Euch zurückholen, mein Freund, seid dessen versichert. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun. Die Konstabler werden nicht ruhen, bis Ihr sie wieder in Eure Arme schließen könnt.«
»Aber sie ist doch noch ein Kind«, jammerte Julan. »Sechs Jahre alt! Wer macht so was? Warum?« Mit wildem Blick starrte er Edeard an. »Warum haben sie das getan? Was ist Eure Rolle dabei? Wieso Ihr? Warum kann ich nicht selbst gehen? Sie ist meine Kleine.«
»Ich weiß es nicht, Sir.« Irgendwie weckte allein der Umstand, dass so viel Verzweiflung sich an ihn richtete, in Edeard ein Gefühl der Scham.
»Natürlich wisst Ihr es«, schnappte eine dünne Stimme.
Edeards Fernsicht
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