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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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wunderbare Freundschaft nur äußerst ungern ruinieren.“
    Bei diesen Worten spürte Rex, wie ihm ein verkrampfter Lacher entwich. Er sah von ihren Händen auf und bemerkte, dass ihr Lächeln weicher geworden war. Sein Ärger verflog und nahm ihm zugleich die Angst, die sich im Laufe des Tages allmählich aufgebaut hatte.
    Er räusperte sich. „Ich werde dich morgen immer noch respektieren.“
    Sie lachte kurz hell auf. Aber dann wurde ihr Gesicht wieder ernst und wandte sich angestrengt der Straße vor ihnen zu.
    „Wir werden sehen.“
    Rex bemerkte jetzt erst, dass sie ebenfalls nervös war. Wenn die Lehre recht hatte, würde er bald spüren, wie nervös. Gewöhnliche Menschen zu berühren entsetzte Melissa, weil diese dadurch mit doppelter Intensität in sie eindrangen – Arztbesuche konnte sie kaum aushalten. Mit anderen Midnightern lief die Verbindung jedoch in beide Richtungen und war wesentlich intensiver. Er schluckte, als ihm seine eigenen Ansichten wieder einfielen, und erinnerte sich daran, dass er sich dies hier schon lange gewünscht hatte. Es war ein Test für die Lehre, ein Weg, um mehr darüber zu erfahren, wie die Talente zusammenwirkten. Vielleicht war es sogar ein Weg, Melissas Schutzschild zu durchbrechen und sie endlich mit dem Rest der Gruppe zu verbinden.
    Und vielleicht, erlaubte sich Rex zu hoffen, würde er eine eigene Verbindung zu Melissa aufbauen können, was er immer gewollt, aber nie geschafft hatte. Er unterdrückte den Gedanken.
    „Bringen wir es einfach hinter uns“, sagte sie.
    „Okay. Sind Bullen in der Nähe?“
    „Mann, nicht mehr als vor drei Minuten bei meiner letzten Überprüfung.“ Trotzdem seufzte sie und schloss gehorsam die Augen. Sie waren vom Stadtzentrum ziemlich weit entfernt, draußen, wo Melissas Sinne am besten funktionierten. Der dröhnende Gedankenlärm von Bixby lag meilenweit hinter ihnen, und um diese Uhrzeit hatte sich die Bevölkerung größtenteils dem Schlaf hingegeben. Die Kreaturen draußen in der Wüste, die Melissas Kopf mit ihren fremdartigen Geschmacksrichtungen und altertümlichen Ängsten anfüllten – die Mitternachtswesen – waren noch nicht erwacht.
    Kurze Zeit später schüttelte sie den Kopf. „Immer noch keine Bullen.“
    „Okay. Dann also los.“ Er holte tief Luft.
    Langsam zog Melissa ihren rechten Handschuh aus. Ihre blasse Hand leuchtete in der Dunkelheit. So weit draußen gab es keine Straßenbeleuchtung, und der Mond schimmerte nur verschwommen hinter den hohen, schuppenartigen Wolken.
    Rex legte seine rechte Hand mit der Handfläche nach oben auf den Autositz. Er sah, wie sie zitterte, tat aber nichts dagegen. Melissa konnte man nichts vormachen.
    „Erinnerst du dich an das erste Mal?“
    Rex schluckte. „Logo, Cowgirl.“
    Das alles war vor langer Zeit passiert, trotzdem erinnerte er sich an ihre frühen Erfahrungen in der geheimen Stunde mit wunderbarer Klarheit. Sie hatten einen langen Spaziergang durch die blauen und leeren Straßen von Bixby gemacht.

    Melissa zeigte ihm, wie ihr Talent funktionierte. Sie zeigte auf ein Haus und sagte: „Eine alte Frau ist hier langsam gestorben.
    Ich kann sie immer noch schmecken.“ Oder: „Ein Kind ist in ihrem Pool ertrunken. Sie träumen jede Nacht davon.“ Einmal blieb sie eine volle Minute vor einem Haus stehen, das ganz normal aussah. Nachdem Rex beim Warten schreckliche Bilder heraufbeschworen hatte, sagte Melissa endlich: „Die da drin sind glücklich. Jedenfalls glaube ich, dass es das ist.“
    Irgendwann, als sie acht Jahre alt waren, hatte Rex die Hand ausgestreckt – unbewusst und unschuldig –, um nach ihrer zu greifen, zum ersten und letzten Mal.
    „Das hat mir echt leidgetan, Cowgirl.“
    „Ich hab’s überlebt. Du kannst nichts dafür, dass ich so bin.“
    „Du auch nicht.“
    Melissa lächelte ihn bloß an und streckte ihm langsam ihre Hand entgegen, die genauso zitterte wie seine. In dem Moment wusste Rex, dass sie das ebenso wollte wie er.
    Sich zu bewegen wagte er nicht, also schloss er die Augen.
    Ihre Finger berührten sich, und es war heftiger, intensiver als in Rex’ Erinnerung. Zuerst spürte er den wilden Hunger, ihr animalisches Bedürfnis, seine Gedanken zu konsumieren, und beinahe hätte er seine Hand zurückgezogen, kämpfte aber dagegen an und hielt still. Dann kamen ihre Gedanken, die in einem kühnen, unaufhaltsamen Energiestrom in seine eindrangen, in Ecken und Winkel sausten, wo sie lang verborgene Erinnerungen aufscheuchten. Das Auto

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