Das Echo der Flüsterer
wirbelte auf. Die Canonwände warfen das schreckliche Geräusch in einem sich schier endlos wiederholenden Echo zurück. Jonas schaute entsetzt auf die Steinsäule. Aber er konnte durch den aufgewirbelten Staub nichts erkennen.
Es dauerte lange, bis Ruhe einkehrte. Eine tödliche Ruhe, die nur hier und da von dem verzweifelten Stöhnen derjenigen gestört wurde, die sich über ihre eigene Rettung nicht mehr freuen konnten. Warum auch noch Goldan!? Der Wächter von Laomar war zwar der jüngste unter den Mitgliedern des Kristallrats gewesen, aber dennoch hatte er durch seine bedachtsame und ausgeglichene Art bald eine führende Rolle eingenommen.
Noch ehe sich der Staub ganz gesetzt hatte, mahnte Bergalf die Gefährten plötzlich zur Stille.
»Ruhig! Ich glaube, ich habe etwas gehört. Drüben, bei der Säule.«
Kraark schwang sich sogleich in die Luft, um Bergalfs Feststellung zu überprüfen. Wenige Herzschläge später hallte sein Krächzen durch die Schlucht: »Goldan lebt!«
Jonas wiederholte für die anderen die Worte des Raben. Lauter Jubel brach unter den Gefährten aus. Allmählich kehrte auch die Sicht zurück. Gerade eben zog sich der Wächter mit letzter Kraft über den Rand des Podestes und blieb erschöpft neben dem Raben liegen, der ihn aufmerksam beäugte.
Die Freude legte sich ebenso schnell, wie sie gekommen war. Goldan lebte zwar, aber wie sollte er von der Spitze der Felsnadel hinüber zu den anderen gelangen? Und dann machten Bonkas und Menschen eine neue furchtbare Entdeckung: Mit dem zweiten war auch der erste Brückenabschnitt in die Tiefe gerissen worden.
Deshalb also hatte der Lärm nicht aufhören wollen, dachte Jonas.
»Jetzt wissen wir, warum Kanthelm so beruhigt seines Weges gezogen ist«, sagte Darina an seiner Seite.
»Wir könnten es mit dem Seil schaffen«, bemerkte Mangaar, der neben Bergalf stand. Beide hatten die Hände in die Seiten gestützt und schätzten die Entfernung zur Säule ab.
»Wir müssen jedenfalls alles versuchen«, gab der kleine Fährtensucher zurück. Bergalf drehte sich um und ging zu den Packtieren. Seine Augen suchten ein ganz bestimmtes Schelpin…
»Es ist nicht da!«
Sechs Köpfe wandten sich ihm zu.
»Was?«, stieß Mangaar hervor. »Bist du sicher?«
»Es ist nicht hier! Du kannst mir ruhig glauben. Entweder war es das Schelpin, das in die Schlucht fiel, oder das andere, das der Gorrmack zusammen mit Tamakh erwischt hat.«
Mangaars Augen blickten zornig auf Bergalf herab, nicht weil er diesem die Schuld für den Verlust der Ausrüstung gab, sondern weil er nicht einsah, dass die Gemeinschaft an einem einzigen Tag so viel Unglück haben sollte.
Bergalf rief Goldan die schlechte Nachricht zu. Der Wächter stand am Rand der Felsplattform und wirkte erstaunlich gefasst.
»Dann dürft ihr auf mich keine Rücksicht nehmen. Darina hat uns allen klargemacht, wie knapp die Zeit ist. Die Menschen sind auf dem besten Wege sich und ihre Welt für immer auszulöschen. Das wäre auch unser Ende. Ihr müsst ohne mich weiterziehen.«
»Aber wir könnten nach Holz suchen oder irgendwie sonst eine provisorische Brücke bauen«, widersprach Bergalf verzweifelt. Sogar der sonst immer so unbekümmert wirkende Fährtensucher war nun offenbar mit seinem Latein am Ende. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er weigerte sich Goldans Entscheidung zu akzeptieren.
»Der Wächter sagt die Wahrheit«, meinte Darina. Ihre Stimme klang weich und dennoch unnachgiebig. Je länger Jonas mit ihr zusammen war, desto klarer wurde ihm, dass dieses Mädchen die Erfahrung von Jahrtausenden in sich tragen musste. Lydia hätte in dieser Situation vielleicht allein auf die Stimme des Gefühls gehört. Doch Darina war anzumerken, wie schwer sie an der Verantwortung trug, die ihre Bestimmung ihr auferlegt hatte. Wie gern hätte sie Bergalf zugestimmt, doch sie wusste, dass sie das nicht durfte.
»Ich werde schon einen Ausweg finden«, rief Goldan zu den anderen hinüber. »Wenn es mir gelingt, von dieser Säule herunterzukommen, dann folge ich euch nach. Geht jetzt.«
Ein jeder spürte, dass der Wächter sie nur beruhigen wollte. Aber dennoch fühlte sich keiner der Gefährten erleichtert, als sie ihre Reittiere bestiegen und die Zügel der Packschelpins an die Sättel banden.
Bevor sie loszogen, trug Kraark noch etliche Pakete mit Proviant durch die Luft. Verhungern würde Goldan so schnell nicht. Aber das war für die Freunde nur ein schwacher Trost, als sie damit begannen,
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