Das Echo der Flüsterer
einen steilen Bergpfad zu erklimmen. Ihr Gefährte am unteren Ende der Felsnadel wurde langsam kleiner und kleiner.
DAS SPIEGELLABYRINTH
Das erste Nachtlager der Suchexpedition lag in einer wüsten Gegend. Ringsherum gab es nichts als Felsen. Nicht einmal Moos bedeckte die grauen Steine. Und der tief dunkelblaue Himmel schien noch das eintönige Bild zu verstärken. Gedrückte Stimmung hatte sich wie ein Spinnennetz um die Gefährten gelegt. Der Weg aus der Schlucht heraus war weitgehend schweigend zurückgelegt worden. Nur hier und da riefen Mangaar, der die Karawane nun anführte, oder Bergalf, der die Nachhut übernommen hatte, den Gefährten kurze Anweisungen zu.
Vor Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden, mussten dieselben Wesen, welche die Brücke errichtet hatten, auch den Pfad durch das Gebirge getrieben haben. An manchen Stellen konnte man Stufen erkennen – jede von ihnen ungefähr zehn Fuß lang –, die den Aufstieg der Tiere erleichterten.
Jonas war sich noch immer nicht sicher, ob dies nicht eher ein Abstieg war. In Wirklichkeit musste die Karawane der Schelpins für Goldan auf der Säule ja ohnehin nach unten gezogen sein. Aber auch im übertragenen Sinne empfand Jonas das ganze Suchunternehmen als einen einzigen »Niedergang«.
Nun saß er auf einer weichen Decke und blickte grübelnd in das seltsame Lagerfeuer. Da es in dieser Steinwüste kein Holz gab, hatten die Bonkas besondere Matten angezündet, die anscheinend überhaupt nicht zu Asche zerfallen wollten. Auf Jonas’ Frage hin erklärte Mangaar, sie bestünden aus einem Mineral namens Tolmit, das in einigen Dörfern am Rande der Hängenden Berge gefördert und verarbeitet wurde. Die Matten brannten mit rauchlosen, rötlichen, angenehm duftenden Flammen und spendeten den müden Wanderern behagliche Wärme.
Leider konnten auch sie nicht die innere Kälte vertreiben, die Jonas verspürte. Vor seinem geistigen Auge schwebten die ernsten Gesichter von Goldan und Tamakh.
»Du machst dir Vorwürfe, weil dein Erscheinen all dies ausgelöst hat. Ist es nicht so, mein Bruder?«
Jonas schreckte auf. Ihm war völlig entgangen, wie Darina sich neben ihm niedergelassen hatte. »Irgendwie schon«, gab er zu. »Wie kommt es nur, dass du immer genau zu wissen scheinst, was ich denke?«
Darina zeigte ein Lächeln, das nicht wirklich fröhlich wirkte. »Deine Geschichte hat mich geweckt und unsere Bilme waren miteinander verschmolzen.«
Jonas zog den blauen Stein aus seiner Tasche und drehte ihn nachdenklich in den Fingern. »Glaubst du, dass ich auch verändert worden bin, als ich nach Azon kam?«
»Natürlich bist du das.«
»Aber – vielleicht abgesehen davon, dass ich eure Sprache verstehe – komme ich mir überhaupt nicht anders vor. Höchstens unglücklicher.«
Darina legte ihre Hand auf die seine. »Dein Kommen war ein Segen für uns, Jonas. Das musst du mir glauben, auch wenn es dir im Augenblick nicht so erscheinen mag. Ohne dich wäre ich vielleicht nie erwacht. Dann würde Azon schon bald zu sterben beginnen.«
»Und so sind Bonkas gestorben. Ich kann sie einfach nicht vergessen.«
»Noch lebt Goldan ja. Du solltest nicht die Hoffnung verlieren. Vielleicht können wir in wenigen Tagen zurückkehren und ihn retten.«
»Für Tamakh kommt jede Hilfe zu spät.«
Darina schwieg.
»Was sind diese Gorrmacks eigentlich?«, fragte Jonas unvermittelt. Bergalf war ihm die Antwort auf diese Frage bisher schuldig geblieben, zu sehr hatten die zurückliegenden Ereignisse sie in Atem gehalten. Der Klang von Tamakhs Namen ließ Jonas wieder an das grauenvolle Kristallwesen denken. »Ich kenne viele Tiere. Sogar Wale habe ich schon gesehen. Aber noch nie habe ich von einem Geschöpf gehört, das so groß ist wie ein Ozeandampfer und dann auch noch völlig aus Stein zu bestehen scheint.«
»Die Gorrmacks sind so alt wie der blaue Kristall«, antwortete Darina. »Ich erzählte dir doch, dass der Meteor flüssig wurde, während er über die Erde zog. Als er wieder erstarrte, bildete er eine unregelmäßige Struktur aus. An einigen Stellen entstanden Auswüchse – Wucherungen, wenn du so willst –, aus denen die Gorrmacks hervorgingen. Durch seine besondere Verbundenheit mit dem Kristall kann ein Gorrmack sich jederzeit überallhin bewegen. Er ist gewissermaßen seine eigene Facette. Äußerlich glich in der Frühzeit keines dieser gewaltigen Wesen einem anderen, sieht man einmal von der riesigen Größe ab. Was sie allerdings
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