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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einem Freund. Du könntest deine Gabe genauso gut auch als Waffe gegen uns einsetzen.«
    Der große Wolf blickte kurz nach links und gleich darauf nach rechts. Obwohl er keinen Laut von sich gab, rückten die Schatten nun von allen Seiten schnell heran. Minuq machte zwei schnelle Schritte auf Jonas zu. Im Lichtkreis der Fackel wirkte der graue Riese noch bedrohlicher. Er verharrte kurz auf der Stelle, ein Bein hielt er dabei angewinkelt in der Luft. Dann setzte er sich wieder in Bewegung. Langsam, jedes Manöver von Jonas und dessen Fackel verfolgend, schlich er immer näher heran.
    Jonas kannte die Körpersprache der Hunde und verstand sogleich, dass die Situation nun wirklich bedrohlich wurde. Sein Gegenüber wedelte zwar mit dem Schwanz, aber dies war kein freundlicher Gruß. Dazu war Minuqs Rute zu hoch gestellt und bewegte sich viel zu nervös. Seine Nackenhaare sträubten sich, er fletschte die Zähne und stieß ein gefährliches Knurren aus. Als er noch einmal zu sprechen begann, lief Jonas ein eisiger Schauer über den Rücken.
    »Möge dein Blut auf mich kommen, Menschenkind.«
    Trojan hatte sich zu Jonas zurückgezogen und baute sich nun knurrend vor Minuq auf.
    Der Junge ließ den Blick durch den Wald schweifen. Die tödliche Schlinge aus Wolfsleibern zog sich immer enger zusammen. Vor einer solchen Übermacht gab es kein Entrinnen. Er wusste, dass er nur verlieren konnte.
    Entschlossen packte er den brennenden Knüppel mit beiden Händen und sagte so laut zu Trojan, dass auch Minuq es verstehen konnte: »Ich wünschte, mein Freund, wir beide hätten Flügel wie unser guter Rabe Kraark. Dann könnten wir den Burschen hier einfach davonfliegen und ihnen eine Menge Ärger ersparen. Wirklich schade, dass so viele von ihnen werden dran glauben müssen.«
    Einen kurzen Moment lang zauderte Minuq. Er staunte wohl über Jonas’ Mut und Entschlossenheit. In diesem Augenblick hallte ein Krachen durch den Wald. Jonas’ Kopf flog nach oben und er sah aus großer Höhe einen dicken Ast herabstürzen, direkt auf Minuq zu.
    Der große Wolf stand noch immer wie angewurzelt da. Der Ast konnte ihn nicht verfehlen.
    »Minuq, pass auf!«, schrie Jonas. Dann ging alles rasend schnell.
    Der Wolf katapultierte sich mit einer Kraft, die Jonas nicht für möglich gehalten hätte, vorwärts. Trojans Tatzen fuhren mit ausgefahrenen Krallen in die Luft, aber sie konnten dem Grauen nur ein paar Striemen an der weiß gefleckten Unterseite zufügen. Jonas riss die Fackel nach oben, aber es war schon zu spät. Der schwere Körper des Wolfes traf ihn mit voller Wucht und warf ihn zu Boden.
    Gleich darauf schlug dem Jungen der Ekel erregende Atem des mächtigen Jägers ins Gesicht. Ein irrwitziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Ich hätte nie gedacht, dass es mir einmal wie Rotkäppchen ergehen würde. Als er den Wolf anblickte, spürte er Angst in sich aufsteigen. Was für ein Maul! Was für spitze Zähne! Er kniff die Augen zusammen und bereitete sich auf den entscheidenden Biss vor. Wenn Minuq gleich sein Genick traf, dann würde alles sehr schnell vorüber sein.
    »Entschuldige, dass ich dich umgeworfen habe. Ich hoffe, du hast dich nicht verletzt.«
    Jonas stutzte. Hatte er etwas Entscheidendes verpasst? Lag er etwa schon im Koma und träumte ein neues Wolfsmärchen, das bisher noch niemand aufgeschrieben hatte? Er öffnete wieder die Augen.
    Der Atem des Wolfes über ihm war immer noch zum Würgen. Aber die hängende Zunge des Tieres und die entspannte Haltung stellten eindeutig friedliche Signale dar.
    »Willst du mich nicht fressen?«, fragte er erstaunt.
    »Eigentlich hatte ich es vor, aber einem Freund meines alten Spielkameraden würde ich das nie antun.«
    Jonas hörte ein Knurren an seiner Seite. »Trojan, nicht!«, rief er dem Schelpin zu, das drauf und dran war, sich auf den großen Wolf zu stürzen. Jonas lächelte seinem wolligen Leibwächter beruhigend zu. Dann wandte er sich erneut an den Wolf, unter dessen Beinen er noch immer eingeklemmt lag. »Könntest du vielleicht wieder von mir runtersteigen?«
    »Oh, Verzeihung. Natürlich.« Minuq rückte zur Seite, sodass Jonas sich aufsetzen konnte.
    »Wie hast du das eben gemeint, mit dem Spielkameraden?«
    »Ich spreche von Kraark.«
    »Kraark? Du kennst Korax Korbinian Kraark?«
    »Als ich noch ein Welpe war, haben wir beiden immer Fangen gespielt.«
    »Er hat mir davon erzählt!« Jonas konnte es nicht fassen. »Jetzt sag nur noch, deine Mutter ist… ist…

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