Das Echo der Flüsterer
Dennoch zweifelte er nicht daran, dass der Gorrmack zu ihm gesprochen hatte.
»Ja«, sagte Jonas leise, »ich bin gekommen, um dich zu besuchen.« Schnell griff er in die Tasche und nahm den Bilm heraus. In dem Sinnstein schien ein Schneesturm zu toben.
»Lass mich. Ich will niemanden sehen«, meldete sich erneut die Stimme. Sie klang verärgert.
»Aber du musst ziemlich einsam sein, so ganz allein in dieser düsteren Höhle.«
»Ich hab mein eigenes Licht. Das reicht mir. Geh jetzt!«
»Aber…«
»Soll ich dir etwa wehtun?« Der Gorrmack klang nun schon bedrohlicher.
»Dann wärst du wieder allein. Kanthelm wird ganz bestimmt nicht kommen, um dir Gesellschaft zu leisten.«
Ein weiterer Klagelaut erschütterte die Höhle. Tausende von Steinchen prasselten auf den Boden herab. »Kanthelm mag ich nicht. Er ist böse. Und dich mag ich auch nicht.«
»Ich komme aber gar nicht von Kanthelm.«
»Na und?«
»Ich will dir helfen.«
»Wo bist du denn?«
Jonas hatte angenommen, der Gorrmack habe ihn schon längst entdeckt. Er ignorierte Kraarks gekrächzte Warnungen und trat näher an das Auge der Kristallechse heran. Es war so groß wie ein Wetterballon. Jonas konnte keine Pupille erkennen, eher schon ein unruhiges Eigenleben, das ihn an seinen Bilm erinnerte. Als er in die blau schimmernde Tiefe des Gorrmackauges blickte, wurde ihm fast schwindelig. Er holte tief Atem und schüttelte die Beklommenheit ab.
»Kannst du mich jetzt erkennen?«
»Hi, hi.«
Jonas blickte das Riesenwesen verdutzt an. »Warum lachst du?«
»Du bist ja nur ein Splitter! Und du willst mir helfen?«
»Nicht alles hängt von der körperlichen Größe ab.«
»Was?«
»Nichts. Warum kannst du dich nicht selbst aus dieser Klemme befreien?«
»Weiß ich nicht. Mein Maul tut weh. Ich kann mich nicht bewegen.«
»Überhaupt nicht?«, fragte Jonas erstaunt.
»Fast ganz und gar nicht.«
Allmählich begriff Jonas, was geschehen war. Die Kristallsäule musste so etwas wie den empfindlichen Punkt des Gorrmacks getroffen haben, einen wichtigen Nervenstrang: Das ganze Riesenwesen war praktisch gelähmt. Jonas’ Mut begann zu schwinden. Wie sollte er diesen Koloss aus seiner Klemme befreien? Er konnte doch nicht einfach die Ärmel hochkrempeln und dann die Welt Azon wieder ins rechte Lot rücken! Jonas beschloss der gefangenen Kristallechse wenigstens etwas Trost zu spenden.
»Hast du auch einen Namen?«
»Du etwa nicht?«
»Natürlich, ich heiße Jonas… Jonas der Wanderer.«
»Ich bin Mack.«
Jonas musste sich ein Lachen verkneifen. Ein recht seltsamer Name für ein Wesen solchen Ausmaßes! Aber warum eigentlich nicht? Wenn er an die Ausdrucksweise dieser armen Kreatur dachte…
»Darf ich dich Macky nennen?«
»Du bist lustig, Jonas.«
»Danke, Macky. Ich finde dich auch ganz nett.«
»Bist du ein Wanderer?«
»Das habe ich doch gesagt.«
»Woher kommst du denn?«
»Aus Muddy Creek. Sagt dir das was?«
»Nein.«
»Aus Florida.«
»Hm.«
»Das liegt in den Vereinigten Staaten von Amerika.«
»Oh?«
Jonas seufzte. »Ich komme von der Erde.«
»Ah! Die kenne ich. Kommst du oft hierher?«
Jonas stutzte. »Wie meinst du das?«
»Bist du oft hier?«
»Nein, das erste Mal. Kann man denn so einfach zwischen den beiden Welten hin- und herwechseln?«
»Hi, hi. Du stellst lauter komische Fragen.«
»Wollen wir nicht wieder gehen?«, mischte sich Kraark ein. »Der Kleine scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein.«
»Er ist nur etwas… einfach, Kraark. Lass mich bitte noch etwas mit ihm sprechen.« Jonas wandte sich von neuem dem Kristallgiganten zu. Er bemühte sich streng zu klingen. »Macky! Gibt es einen Weg von Azon zur Erde?«
»Eigentlich schon.«
»Was heißt denn nun wieder ›eigentlich‹?«
»Das Echo kann es.«
»Du meinst das Echo der Flüsterer?«
»Wenn’s verkehrt herum ist.«
»Was?« Jonas hatte Mühe ruhig zu bleiben. Dieser Koloss drückte sich so schrecklich unklar aus.
»Man muss es schubsen.«
Jetzt erinnerte sich Jonas wieder an den riesigen Strudel im Bermudadreieck. »Meinst du damit, etwas muss den Wirbel in Gang setzen?«
»Hm, hm. Die Flüsterer singen den Strudel herbei. Mack kann das auch.«
»Du kannst das Echo auch hervorrufen? Das heißt, du könntest jemanden von der Erde nach Azon holen?«
»Na klar.«
»Und könntest du mich auch wieder zurückschicken?«
»Nö.«
»Aber warum denn nicht?«
»Weil’s nicht verkehrt herum ist.«
Jonas zermarterte sich den Kopf, was der
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