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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jonas. Ich wette, dir ist auch noch nicht aufgefallen, dass deine Welt die Form einer Kugel hat, als du darauf spazieren gegangen bist. Natürlich weißt du es, aber sehen kannst du es nicht.«
    »Und du meinst…?«
    »Genau. Azon hat viele Ecken, Zacken und Kanten, nur kann man sie nicht erkennen. Das ist übrigens sehr praktisch.«
    »Was du nicht sagst.«
    »Doch. Stell dir nur einmal vor, du willst mit einem Eisenbahnzug auf die andere Seite eines Gebirges. Was tut ihr Menschen dann?«
    »Wenn es keinen einfachen Weg gibt, die Berge zu überqueren, dann bauen wir einen Tunnel.«
    »Siehst du! So einfach ist das.«
    »Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht…« Jonas’ Augen weiteten sich mit einem Mal. »Willst du damit sagen, ihr bohrt Röhren als Abkürzungen durch euren Riesenkristall?«
    »Du hast beinahe ins Schwarze getroffen, Jonas. Nur brauchen wir keine Tunnel zu graben für diese ›Abkürzungen‹, wie du sie nennst.«
    »Nicht?«
    Kraark sah Jonas an wie ein Lehrer seinen begriffsstutzigen Schüler. Dann verwischte er mit den Krallen die Skizze auf dem Boden und zeichnete ein neues Bild in den Sand. Ein Stern mit vielen spitzen Zacken entstand. Jonas konnte nichts Symmetrisches an der Zeichnung ausmachen.
    »Ein Globus von Azon hätte auf den ersten Blick eine eher chaotische Form«, setzte Kraark seine Erklärung fort.
    »Wem sagst du das!«
    »Stell dir einmal vor, wir sitzen gerade hier.« Der Rabe tippte mit seinem Schnabel an einen Punkt, der sich im unteren Bereich eines langen Zackens befand, ganz nahe am kompakten »Herzen« Azons. »Tatsächlich dürfte das in etwa unserem derzeitigen Standpunkt entsprechen.«
    Jonas sah zuerst über die weiche Hügellandschaft und dann auf den Raben, aber er verkniff sich einen Einwand, um seinen neuen Freund nicht wieder zu verärgern.
    »Nun nehmen wir einmal an, du willst dort hinwandern«, fuhr Kraark fort und sein Schnabel zeigte auf einen Punkt, der sich genau auf der gegenüberliegenden Seite des Zackens befand. »Welchen Weg würdest du gehen?«
    »Natürlich den, der direkt um den Zipfel herumführt«, antwortete er. »Das ist die kürzeste Strecke.«
    »Du bist ein Schlauberger, Jonas!«
    Der lächelte verlegen.
    »Und in welche Richtung würdest du aufbrechen?«
    Jonas’ strahlende Miene verflog augenblicklich. Auf seinem Gesicht blieb Ratlosigkeit zurück.
    »Wie du ganz richtig bemerkt haben wirst, sind deine fünf Sinne mit dieser Frage überfordert.«
    »Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du manchmal ziemlich oberlehrerhaft wirkst?«
    »Natürlich. Die Letzte war eine Wölfin, sie hieß Talinka. Aber das ist schon einige Jahre her. Dürfte ich nun meinen Gedanken zu Ende bringen?«
    »Ich bitte darum.«
    »Stell dir vor, du würdest heute aufbrechen und im ungünstigsten Fall diesen ganzen Zacken bis zu seiner Spitze entlangwandern und von dort wieder nach unten, deinem Ziel entgegen.« Kraark fuhr die Strecke mit seinem Schnabel nach. »Ein solcher Marsch könnte dich gut und gerne ein bis zwei Jahre deines Lebens kosten.«
    »So groß ist diese Welt?«
    »Sie ist noch viel größer. Wenn du nun aber einen Weg direkt durch den Zacken hindurch nehmen könntest«, Kraark zog einen geraden Strich von der einen Seite des Kristallfingers zur anderen hinüber, »dann würdest du dein Ziel in nur wenigen Augenblicken erreichen.«
    »Wobei wir erneut bei unseren Tunneln wären.«
    »Keine Tunnel, Facetten.«
    Jonas musste an die glatten Kristallflächen unter dem blauen Gewölbe denken. War etwa das Nashorn nur ein Dickhäuter auf der Wanderschaft von einer Gegend Azons in eine andere gewesen?
    Kraark bemerkte Jonas’ nachdenkliches Gesicht und fügte erklärend hinzu: »So nennen wir jene Orte, die einen schnellen Wechsel in ein anderes Gebiet Azons erlauben.«
    »Gibt es viele solcher… Facetten?«
    »Das ist schwer zu sagen. Man kann sie nicht sehen. Deshalb weiß auch niemand so genau, wie viele es von ihnen gibt. Zum Glück sind sie ziemlich ›ortsfest‹.«
    Jonas blickte noch immer fragend drein.
    »Hin und wieder verändert eine Facette ihren Standort«, konkretisierte Kraark. »Es gibt einige unter den Bonkas, die ein Gespür für die Facetten haben, meist sind sie Träger eines Sinnsteines. Sie können diese Tore in andere Regionen sozusagen wittern, aber die Wissenden… «
    »Halt!«, rief Jonas. »Halt, halt. Mein Schädel brummt schon wie ein Traktor und du bombardierst mich weiter mit Worten, die ich nicht

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