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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Bürgermeisters nur ehrenhalber aus – drehte sich auf der Veranda seines Hauses um.
    »Was ist denn jetzt noch, General?«, wandte er sich mürrisch an den Großvater des Jungen.
    »Der kleine Dickschädel ist in die Sümpfe gelaufen. Er will Lydia Gustavson allein finden.«
    »Glaubst du, er meint das ernst?«
    Der Großvater nickte so überzeugt, wie man nur überzeugt nicken konnte.
    Paul Friedmann schüttelte unwillig den Kopf. »Ich habe dir schon immer gesagt, Tom, dass du dem Kleinen seinen verdammten Eigensinn austreiben musst. Jetzt siehst du, was wir davon haben.«
    Der ehemalige General musste lächeln. »Du bist ja nur sauer, weil du nicht in dein weiches Bettchen darfst, Paul.«
    Der Bürgermeister sah seinen alten Freund mit versteinerter Miene an. Für einen langen Moment fochten die beiden Männer einen lautlosen Kampf. Dann entspannte sich Paul Friedmann und atmete laut aus, so als habe er sich gerade einer schweren Bürde entledigt. Er hob den Kopf, schaute in die Runde der Männer, die sich wieder vor seinem Haus eingefunden hatten, und rief: »Freunde, ihr habt es vermutlich schon mitbekommen. Irgendwas ist bei Toms Jungen durchgebrannt. Er ist allein in die Sümpfe gerannt, um nach Lydia Gustavson zu suchen…«
    »Soll er doch!«, rief einer dazwischen. »Der Bengel kennt sich doch da draußen aus wie ein Schlammsalamander. Er wird schon nach Hause kommen, wenn er Hunger kriegt. Außerdem…«
    »Halt’s Maul, Joe!«, unterbrach Paul Friedmann den auch eher halbherzig vorgetragenen Protest. Offenbar begannen die müden Männer bereits von allein zu begreifen, was ihr Bürgermeister ihnen nun noch einmal mit aller Deutlichkeit ins Gesicht sagte.
    »Der Junge scheint der Einzige unter uns zu sein, der noch ein bisschen Mumm in den Knochen hat. Wollt ihr euch wirklich von einem Elfjährigen vormachen lassen, wie man eine angefangene Sache auch zu Ende bringt?« Der harte deutsche Akzent Paul Friedmanns dröhnte in den Köpfen der Männer.
    Auch die Frauen und Kinder des Ortes strömten nun auf dem Platz zusammen. Der Bürgermeister appellierte an den Gemeinschaftssinn der Bürger von Muddy Creek, fragte, wo dieser nur geblieben sei in den letzten Jahren. »Irgendwie hat der Junge etwas in mir wachgerüttelt«, kam er ans Ende seiner Rede, »was ich schon längst vergessen glaubte. Männer, wir haben mit Astrid Gustavson eine Mitbürgerin verloren. Nur wenige kannten sie wirklich. Denn sie war schon krank, als Christian mit seiner Familie hierher zog. Lassen wir doch nicht zu, dass unsere Gemeinde nach diesem Verlust auch noch zwei ihrer Kinder verliert: Lydia und womöglich Toms Enkel.«
    Paul Friedmann hatte es – ermutigt durch das beherzte Handeln des Jungen – noch einmal geschafft, an die Opferbereitschaft der Bürger von Muddy Creek zu appellieren. Ein vielstimmiges Gemurmel signalisierte ihm ihre Zustimmung. Alsbald bewegte sich die Bürgerwehr wieder die Main Street hinab, nach Westen, in die Richtung, die auch der verzweifelte Junge eingeschlagen hatte.
    Der war in der Zwischenzeit am Ortsrand angelangt und hatte sich wieder einigermaßen beruhigt. Die Nähe der Sümpfe gab ihm seine innere Ausgeglichenheit zurück. In der feuchten Erde vor ihm steckte die Fackel, die er zuvor dem Mann entrissen hatte. Er blickte in das flackernde Licht und dachte darüber nach, was er nun tun sollte. Keinen Moment zweifelte er an seinem eigentlichen Entschluss. Aber wo sollte er mit der Suche beginnen? In den vergangenen Tagen hatten sie alle Stellen abgeklappert, die Lydia von ihren gemeinsamen Streifzügen her kannte. Er selbst hatte sogar die Schlupfwinkel der Gigantenkröten durchstöbert, obwohl diese Sumpfbewohner auf Lydias Sympathieskala ziemlich weit unten rangierten. Überall waren die Suchmannschaften gewesen… mit Ausnahme…
    Mit einem Mal war alles klar. Der Junge fragte sich, warum er nicht schon viel früher darauf gekommen war. Der smaragdgrüne Teich mit dem Himmelsstein, wo die Alligatoren sich tagsüber in der Sonne rekelten! Möglich, dass er diesen Ort als zu gefährlich abgetan hatte. Aber genau dort hatte er mit Lydia gesessen und ihr von der Fürsorglichkeit der Alligatorenmütter erzählt, wie sie sich um ihre Jungen kümmerten, sie sogar manchmal im Maul trugen…
    Stimmen drangen an das Ohr des Jungen. Sie kamen von weiter unten im Dorf. Er schaute die Hauptstraße hinab und sah die unruhigen Lichtfinger von Scheinwerfern, die mal hierhin, mal dorthin zeigten. Auch einige

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