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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Fackeln flackerten dazwischen auf. Er traute seinen Augen kaum. Was hatte die Männer nur dazu bewogen, doch noch einmal loszugehen und…? Natürlich! Sie suchten ihn. Vielleicht wollten sie ihn davon abhalten, in die Sümpfe zu gehen. Oder sollten sie wirklich zur Besinnung gekommen sein?
    Auf jeden Fall musste er ihren neu entfachten Eifer wach halten. Er schaltete seine Taschenlampe ein und ließ ihren Lichtkegel kurz in Richtung der Suchmannschaft aufleuchten. Dann begann er zu laufen.
    Hinter sich hörte er erregte Stimmen. Offenbar hatte man sein Lichtzeichen bemerkt und es wie von ihm beabsichtigt aufgefasst: Der Junge läuft da lang, in die Sümpfe, folgt ihm, ehe er auf einen Alligator tritt.
    Die Bürgerwehr heftete sich tatsächlich an seine Fersen. Immer tiefer drang er in die geheimnisvolle Landschaft der Everglades ein. Es waren nicht gerade viele Wege, die man ohne Boot nehmen konnte. Am Ende gab es nur einen einzigen und selbst der führte über schwimmende Grasflächen, die so nachgiebig waren, dass ein schwererer Mann darauf leicht bis zu den Knien einsank.
    Der Junge verlor völlig das Gefühl für die Zeit, sosehr beanspruchten ihn der Weg zum Himmelsstein und die Befürchtung, die Männer könnten ihn verlieren. Immer wieder blieb er stehen, prüfte mit der Taschenlampe die Umgebung und vergewisserte sich, dass die Nachfolgenden es auch bemerkten.
    Endlich erreichte er den Teich. Das Ufer war größtenteils mit Schilf bewachsen. Aber im Süden gab es einige sandige Flächen, auf denen die Alligatoren sich tagsüber gerne sonnten. Er kletterte auf den breiten, vielleicht sieben oder acht Fuß hohen blauen Indianerfelsen und rief Lydias Namen.
    Keine Antwort.
    Er rief noch einmal: »Lydia! Lyydiaaa!«
    Nichts. Kein Weinen, kein Rufen, nur die allmählich näher kommenden Stimmen der Suchmannschaft.
    Bald hatten die Männer den Felsen erreicht, der General führte sie an.
    »Junge!«, rief er sogleich. Mehrere Scheinwerfer wurden auf den Knaben gerichtet. »Komm sofort da runter, bevor du ins Wasser fällst! Dir muss ich doch nicht erklären, dass die Alligatoren um diese Zeit am gefräßigsten sind.«
    »Sie werden mir nichts tun, Großvater. Es ist auch nicht wichtig. Nur Lydia ist wichtig. Ihr müsst ausschwärmen und sie suchen. Irgendwo hier ist sie.«
    »Dein Großvater hat Recht!« Diesmal war es Paul Friedmann, der nach dem eigensinnigen Jungen rief. »Wir alle sind in Gefahr, wenn wir jetzt zwischen den Echsen herumstapfen und die Gegend nach der kleinen Lydia durchstöbern. Komm jetzt bitte von dem Stein da runter. Ich verspreche dir, wir machen schon morgen früh mit der Suche nach Lydia Gustavson weiter. Aber erst einmal musst du in Sicherheit sein.«
    »Ich bin hier sicher!«, rief der Junge zurück und er meinte wirklich, was er sagte. Obwohl mehrere dunkle Schatten durch das Wasser glitten, hatte er keine Furcht vor ihnen. Er konnte nur noch an Lydia denken. Wenn diese Nacht verloren ging, würden sie das Mädchen womöglich niemals finden. Oder nicht mehr lebendig.
    »Komm jetzt«, sagte Großvater. Er hatte sich vorsichtig dem Felsen genähert und sprach nun sehr eindringlich auf seinen Enkel ein.
    Der Junge kam sich vor wie ein Lebensmüder an der Fassade eines Wolkenkratzers, auf den beschwörend Feuerwehrleute einreden. Aber er war nicht lebensmüde. Im Gegenteil! Er war ein Teil dieses wuchernden Lebens, das den ganzen Sumpf erfüllte. Niemand brauchte sich vor den Echsen in diesem Tümpel zu fürchten. Er musste ihnen beweisen, dass diese Angst unbegründet war.
    Mit einem weiten Satz sprang der Junge in das dunkle Wasser des Alligatorenpfuhls.
    Ein Aufschrei wie aus einer einzigen Kehle hallte durch den Sumpf. Die Männer waren außer sich vor Entsetzen: Jeden Moment würden die Panzerechsen sich auf den Körper des Knaben stürzen und ihn im Streit um die besten Happen zerfetzen.
    Aber das taten sie nicht. Als der Junge ins Wasser tauchte, ließ sie das aufspritzende Wasser eher zurückschrecken.
    »Komm, schnell!«, rief Großvater. »Sie sind verwirrt. Noch hast du Zeit. Beeil dich und steig wieder raus.«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Sie tun mir nichts. Es ist nicht gefährlich. Seht!«
    Ein etwa fünf Fuß langer Alligator näherte sich ihm ohne jede Hast. Der Junge hob seinen Oberkörper etwas weiter aus dem Wasser, wurde dadurch scheinbar größer und – das Tier zog sich vorsichtig zurück.
    »Nun komm endlich!«, forderte erneut der alte Tom. In seiner Stimme

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