Das Echo der Flüsterer
Jonas neugierig.
»Sie haben deinen Tag bereits bis zum Abend verplant«, krähte Kraark, der daran irgendetwas erheiternd fand. »Nach dem Frühstück darfst du die Höhle der Flüsterer besuchen und am Nachmittag wird der Rat erneut zusammentreten.«
»Vermutlich hat dir Korax gerade verraten, worum es geht«, sagte Syrda.
Jonas musste grinsen. »Schon komisch, dass ich der Einzige bin, der sich mit ihm unterhalten kann.«
»Hat er auch erwähnt, dass Darina uns heute über ihr Wissen informieren wird?«
Jonas’ Miene wurde sofort wieder ernst. »Sprichst du von der Gefahr, die Azon immer dann droht, wenn einer der Wissenden erscheint?«
»Das hört sich an, als wäre ich an all dem schuld«, beschwerte sich Darina.
Syrda ergriff über Jonas’ Lager hinweg die Hand des Mädchens und sagte: »Beruhige dich, Kind. Ich weiß, dass dich dieses Wissen sehr belastet. Bald kannst du es mit uns teilen.«
Jonas hätte gern gewusst, was für ein Wissen das war, von dem Syrda gesprochen hatte. Immerhin war Darina vor vier Jahren erschienen. Wenn es diese Gefahr schon damals gegeben hatte, war es dann nicht längst zu spät, um noch etwas zu tun?
Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Krem brachte ihm zunächst seine Kleider – alles, selbst das blutbefleckte Taschentuch, war frisch gereinigt und gebügelt. Sogar eine Jacke hatte der Diener Belkans hinzugefügt. Sie bestand aus einem auberginefarbenen glänzenden Stoff mit rautenförmigen Steppnähten. Erstaunlicherweise passte sie sogar.
Das Frühstück verdrängte für einige Zeit die vielen Fragen aus Jonas’ Kopf. Er hatte schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen. Dementsprechend gründlich rückte er den Schüsseln und Schalen zu Leibe, die fleißige Hände in einem gemütlichen Muschelzimmer aufgetragen hatten. Er fand frisch gebackenes Brot, Früchte, Gemüse, Nüsse, Käse und Milch, Säfte und kristallklares Wasser. Darina erklärte ihm, dass die Bonkas im Gegensatz zu den Malkits vegetarische Kost bevorzugten.
Als Belkan das Speisezimmer betrat, war es bereits Mittag geworden. »Ich hörte, dass es dir schon wieder recht gut geht«, begrüßte er Jonas herzlich.
»So gut, dass ich den halben Tag verschlafen habe«, antwortete dieser fröhlich und angelte sich ein letztes Stück Melone.
»Ich wollte dir etwas zeigen, bevor wir uns später zusammensetzen und über die Lage beraten. Fühlst du dich stark genug für einen kleinen Rundgang?«
»In die Höhle der Flüsterer?«
»Du bist also schon informiert. Na, umso besser.«
»Wo befindet sich diese Höhle?«
»Unter den Hängenden Bergen…« Belkan stockte, weil Jonas die Melone aus der Hand gefallen war. »Was ist?«
»Ich soll doch nicht wirklich den weiten Weg bis zu den Bergen zurückmarschieren und dann auch noch heute Nachmittag wieder hier sein?«
Jonas’ Frage rief allgemeine Belustigung unter den Anwesenden hervor. Sogar der Rabe ließ ein Krächzen ertönen. »Du musst dir darüber keine Sorgen machen«, sagte Belkan und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Der Weg von der Farbenstadt zur Höhle der Flüsterer ist kürzer als ein Rundgang durch diesen Palast.«
Wenig später machte Jonas mit einem Phänomen Bekanntschaft, das er bereits aus Kraarks Schilderungen kannte, wenn auch die Wirklichkeit erheblich beeindruckender war als jeder theoretische Vortrag. Er fühlte sich wie jemand aus der Antike, der zum ersten Mal die Gesetze der Schwerkraft kennen lernt. Für einen solchen Menschen musste ja auch die Vorstellung absurd sein, dass auf einer Kugel Wesen herumlaufen, ohne herunterzufallen – sogar die nicht, die mit dem Kopf nach unten hängen. Irgendwann freilich würde auch dieser Neuling aus dem Reich der Unwissenheit sich an den Anblick gewöhnen und ihn für naturgegeben halten. Genauso selbstverständlich war für die Bonkas die Benutzung der Facetten.
»Kannst du’s mir nicht noch einmal erklären?«, bat Jonas Goldan, während sie sich einer Gruppe von Felsen am Rande des Hafens von Laomar näherten. Belkan hatte den Wächter der Farbenstadt gebeten, Jonas und Darina bei ihrem ersten Besuch der Kristallhöhle zu begleiten. Kraark war auch mit von der Partie.
»Warte ab«, antwortete Goldan gelassen. »Du wirst es gleich selbst erleben.«
Darina lächelte zu dem Wächter hinüber. »Du hast ein besonderes Gespür für die Facetten, nicht wahr, Goldan?«
»Sagen wir, es liegt in meiner Familie. Ich bin einer der drei Bilmträger im Rat. Die
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