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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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erzählt…
    »Du denkst bestimmt, wir würden euch Menschen von hier aus kontrollieren«, drängte sich Darinas Stimme in seine Gedanken.
    Erstaunt blickte er sie an. »Woher…?«
    »Würdest du sagen, dass du den Sumpf kontrollierst, wenn du an einem schönen Morgen draußen bist und beobachtest, wie die Natur erwacht?«
    »Was?«
    Darina lächelte ihn schelmisch an. »Ich dachte, du tust das hin und wieder?«
    »Ja, natürlich. Aber ich würde doch nie die Natur in den Glades… kontrollieren! Das kann ich ja gar nicht. Dazu ist sie viel zu kompliziert. Selbst wenn ich noch so genau hinsehe, kann ich nie alles wahrnehmen.«
    »Aber du hast doch sicher schon einmal einem in Not geratenen Tier geholfen?«
    »Selbstverständlich. Schon oft.«
    »Oder eines gefüttert?«
    »Manchmal schon.«
    »Siehst du.«
    Jonas runzelte die Stirn.
    »Wir befinden uns in einer ganz ähnlichen Situation wie du, wenn du deinen Morgenspaziergang machst.«
    »Aber wir Menschen sind doch keine Fische, die man in einem Aquarium anglotzt und denen man ab und zu etwas Futter ins Wasser streut!«
    »Nein, natürlich nicht.« Darina blickte nachdenklich auf eine Kristallfläche, die ein kleines Mädchen zeigte. Es versuchte gerade eine Stricknadel in eine Steckdose zu bekommen. Darina flüsterte etwas gegen den Stein, was zu leise war, um es zu verstehen. Jonas konnte erkennen, wie das Mädchen plötzlich das Interesse an dem Anschluss verlor und sich einem ramponierten Teddybären zuwandte. Darina heftete ihre strahlenden blauen Augen wieder auf Jonas.
    »Du musst auch nicht denken, dass wir eure Schutzengel sind. Ihr Menschen seid viel zu gedankenlos und wir Flüsterer viel zu wenige, um dieser Aufgabe auch nur einigermaßen gerecht werden zu können.«
    »Und was ist dann eure Aufgabe?«
    »Das habe ich ihm alles schon erklärt«, mischte sich Kraark in das Gespräch.
    Darina sah erst den Raben an und dann Jonas. »Was hat er gesagt?«
    »Er hat mich an etwas erinnert. Kraark erzählte mir gestern, dass ihr so etwas wie die Musen für die Künstler seid.«
    »Musen.« Darina ließ das Wort wie ein Bonbon auf der Zunge zergehen. »Manche nennen es auch Intuition: Dir fällt plötzlich etwas ein und du kannst dir beim besten Willen nicht erklären, wie du darauf gekommen bist.«
    Jonas ließ zweifelnd den Blick durch die Höhle schweifen. »Ich weiß nicht. Als Kraark mir davon berichtete, habe ich es mir irgendwie anders vorgestellt. Bei alldem habe ich kein gutes Gefühl.«
    »Menschen unterstellen anderen oft das, was tief in ihnen selbst steckt.«
    »Meinst du, ich wollte andere kontrollieren?« Jonas klang erregt. »Genau das ist es, was ich schon immer am meisten gehasst habe.«
    »Was nur beweist, wie sehr dich diese Form der Bosheit beschäftigt. Doch wenn du niemandem mehr trauen kannst und jeden – selbst deine Schwester – des von dir am meisten gehassten Vergehens verdächtigst, was bleibt dann noch, Jonas? Bist du dann nicht am Ende ganz allein?«
    Jonas blickte verlegen zu Boden. Darinas Hand tastete nach der seinen und als er ihre Wärme spürte, sagte sie: »Die Flüsterer der Bonkas handeln nach einem Gesetz, das so alt ist wie sie selbst. Niemals darf ein Mensch gegen seinen Willen zu etwas gezwungen werden. Und nie darf ein Bonka lauter zu den Erdenbewohnern sprechen, als es hier geschieht.«
    »Deshalb nennt ihr euch die ›Flüsterer‹?«
    »So ist es. Würden wir laut in die Kristallspiegel sprechen, dann könnten uns die Menschen mit ihren Ohren hören. Ein Flüsterer, der so etwas tut, dürfte nie mehr in dieser Höhle dienen.«
    »Aber was ist mit den Malkits? Halten die sich auch an diese Regeln?«
    Darina sah zu Goldan hinüber.
    »Die Malkits kennen die Gesetze«, antwortete der Wächter. »Aber wir befürchten, dass der Tag kommen wird, da sie jede Regel übertreten, nur um sich einen Vorteil zu verschaffen. Bis heute ist uns jedoch noch kein solcher Fall bekannt geworden.«
    »Es genügt, dass sie Menschen mit bösen Gedanken zu ebensolchen Taten ermuntern«, fügte Darina hinzu. »Das ist der zweite Grund, warum unsere Arbeit hier so wichtig ist: Würden wir uns aus dieser Höhle zurückziehen, hätten die Malkits die Menschen bald so weit, dass sie sich selbst zerfleischten.«
    »Aber wäre das nicht ihr eigenes Ende?«, fragte Jonas erstaunt. »So wie ich eure Welt bisher verstanden habe, stellt sie ein Abbild der Erde dar. Kann es denn ein Spiegelbild von etwas geben, was gar nicht mehr vorhanden

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