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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Streithähne der Einfachheit halber den Bären und den Adler, wie es auch viele Erdbewohner tun (mir gefallen diese beiden Namen sehr viel besser). Während der sowjetische Bär und der amerikanische Adler sich also gegenseitig das Leben schwer machten, kamen in einem kleinen Land – eigentlich war es nur eine Insel im Meer – Ereignisse in Gang, die damals noch niemand in ihrer ganzen Tragweite überblicken konnte. Die Menschen haben Staat und Insel übrigens den Namen ›Kuba‹ gegeben, wir selbst wollen das Land den Moskito nennen.«
    Jonas sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Er erinnerte sich an das Gespräch zwischen Dr. Gould und Frank Holloway, das er tags zuvor belauscht hatte.
    »Vor vier Jahren wechselte die Insel des Moskitos den Anführer aus«, setzte Darina ihre Geschichte unbeirrt fort. »Ein Draufgänger mit Namen Fidel Castro Ruz stürzte den bisherigen Machthaber Fulgencio Batista y Zaldivar, der das Land auf tyrannische Weise regiert hatte. Als Castro im ersten Monat des Menschenjahres 1959 seine Regentschaft antrat, ahnten nur wenige, wie sehr der amerikanische Adler sich daran stören würde, dass der kubanische Moskito seinen Stachel auf ihn richtete. Bis dahin hatte der Adler durchaus seinen Nutzen von dem kleinen summenden Mitflieger gehabt, aber mit Castro änderte sich das gründlich.
    Eine Weile lang machte der Adler dem Moskito das Leben schwer. Er nahm von ihm keinen Zucker mehr an, wodurch es für das kleine Land immer schwieriger wurde, Nahrung einzutauschen. Ein paarmal versuchte er auch den neuen Anführer Castro umzubringen. Der Moskito war klug genug, um zu erkennen, dass er allein gegen seinen hitzigen Nachbarn wenig ausrichten konnte. Deshalb suchte er sich einen starken Beschützer. Der neue Pelz, in den er sich setzte, war der russische Bär. Nachdem der den Moskito zunächst nur mit Nahrung versorgt hatte, begann er ihm vor gut zwei Jahren den Stachel zu schärfen.«
    »Du meinst, das Land Sowjetunion hat der kubanischen Insel Waffen geliefert?«, erkundigte sich der Älteste Gondik.
    Darina sah einen der Flüsterer an, die sie zur Ratsversammlung gebeten hatte. »Ximon?«
    Ein hoch gewachsener Bonka trat an die Tafel heran. Durch eine leichte Verbeugung erwies er dem Rat die Ehre. Jonas musste unwillkürlich an einen Feldherrn des alten Rom denken, als er den Mann mit dem schneeweißen Haar musterte. Die knappen Gesten, die gerade Haltung – alles passte. Gleichwohl verriet sein scharf geschnittenes Gesicht, dass er noch nicht viel älter als vierzig sein konnte. Mit wenigen Worten schilderte er präzise die Beobachtungen der Flüsterer.
    »Wie die meisten hier Anwesenden wissen, obliegt mir die Aufsicht über die Brüder des Adlers.« Er lächelte in Darinas Richtung. »Die Menschen auf der Moskitoinsel werden eigentlich von Tamakhs Gruppe beraten, aber er bat mich ob seiner Jugend für ihn zu sprechen. Im September 1960 – nach der Zeitrechnung der Menschen – begann die Sowjetunion Waffen an Kuba zu liefern: Panzer, Lastwagen, Flugabwehrgeschütze. Im April 1961 bombardierten dann Exilkubaner, die von den Amerikanern ausgebildet und unterstützt worden waren, Flughäfen ihrer ehemaligen Heimatinsel. Drei Tage später versuchten vierzehnhundert von ihnen, die an einer Stelle der Küste mit dem Namen ›Schweinebucht‹ gelandet waren, die Insel zu erobern. Die Operation ›Zapata‹, wie sie ihren Feldzug nannten, scheiterte dank Fidel Castros Soldaten unrühmlich. In den Monaten darauf lieferte die Sowjetunion immer mehr Waffen nach Kuba. Man befürchtete in Kürze einen erneuten Invasionsversuch seitens der Vereinigten Staaten und wollte gewappnet sein. Wie mir unser Bruder Tamakh berichtete, hat Fidel Castro anlässlich der letzten Neujahrsparade stolz seine neuen ›Stachel‹ gezeigt, die er von den Russen erhalten hat: Düsenflugzeuge, Hubschrauber und vieles mehr. Aber das war noch nicht das Ende der kubanischen Aufrüstung.«
    Ximon sah zu einem anderen Flüsterer hinüber, der sich nun schwungvoll erhob. Mit seinem Vorredner hatte dieser Bonka allenfalls die Körpergröße gemein. Er wirkte wie jemand, der Aufgaben am liebsten sofort anpackt. Mit seinen prankengleichen Händen schien er, wenn verlangt, einen ganzen Wald ausreißen zu können. Dabei musste der gewichtige Flüsterer nach Jonas’ Dafürhalten mindestens schon fünfzig Jahre zählen. Er hatte grau meliertes Haar und ein rundes Gesicht. Er lächelte zunächst die Ältesten warmherzig an und

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