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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ist?«
    »Jetzt hast du die Frage gestellt, um die es heute im Rat der Ältesten gehen wird«, antwortete Darina ernst. »Warte bis nachher, dann wirst du eine befriedigende Antwort bekommen. Nur so viel im Augenblick: Die Malkits sind überzeugt, dass der Kristall selbst der Schöpfer aller Dinge ist. Natürlich wissen sie in ihrem tiefsten Inneren so gut wie wir, dass der blaue Stein ein zwar mächtiger, aber zuletzt doch vernunftloser Gegenstand ist. Trotzdem sehen sie in ihm die Antwort auf alle ihre Fragen. Sie glauben, dass etwas vom Stein Geschaffenes nie mehr vergehen kann. Und was noch viel schlimmer ist: Sie denken, dass sie die Erde nur auslöschen müssen, um ihre Theorie zu beweisen und sich unbegrenzte Macht über Azon zu verschaffen.«
    »Die Erde auslöschen?«, hauchte Jonas entsetzt.
    Der Druck von Darinas Händen verstärkte sich. Jonas blickte ihr in die Augen, sah ihr Lächeln und fühlte sich gleich besser.
    »Noch haben die Malkits nicht gewonnen«, sagte die Wissende mit fester Stimme. Und als auch Jonas wieder ein mühsames Lächeln zustande brachte, fügte sie hinzu: »Bist du gar nicht neugierig? Wir haben unseren Rundgang doch gerade erst begonnen.«
     
     
    Die Besichtigungstour durch die Höhle der Flüsterer hinterließ in Jonas ein zwiespältiges Gefühl. Während Kraark den Rundgang meist schweigend begleitete, beantworteten Goldan und Darina ihm alle seine Fragen. Wie sich herausstellte, gab es tatsächlich noch mehrere Nebenhöhlen, die mit dem großen Hauptraum durch Tunnel verbunden waren. Überall standen und saßen die Flüsterer vor den planen Flächen des Kristalls und beobachteten. Verhältnismäßig wenige sprachen in die blau schimmernden »Spiegel« hinein.
    Für jede Region der Erde gab es einen entsprechenden Abschnitt in der Höhle. Goldan erklärte, dass es aber auch ohne weiteres möglich sei, einem Eskimo am Nordpol einen Geistesblitz zu vermitteln und nur durch eine Wendung des Oberkörpers einem der Aboriginees in Australien ein paar Ideen zur Verbesserung seines Bumerangs einzupflanzen. Im täglichen Dienst der Bonkas kam so etwas allerdings sehr selten vor, da in der Regel ein Flüsterer seinen fest zugeteilten »Spiegel« – und damit auch nur einen einzigen Menschen – betreute.
    Die Malkits – Goldan sprach ihren Namen mit unüberhörbarer Verachtung aus – besäßen eine ganz ähnliche Höhle wie die, in der sie sich gerade befänden. Genau genommen waren die beiden Kristalldome sogar einst Teil eines einzigen riesigen Systems. Als sich jedoch die Malkits mit den Bonkas entzweiten und Schamakh der Weber Kimbaroth, den Vorhang der ewigen Trennung, schuf, erstarb jeglicher Austausch unter den Hängenden Bergen. Allmählich geriet der Tunnel, der die beiden Höhlen miteinander verband, in Vergessenheit. Nur die Wissenden könnten den Weg noch finden.
    Jonas hatte Darina bei dieser Äußerung von der Seite angesehen. Obwohl ihr Gesicht ausdruckslos blieb, war ihm klar, dass sie den Ort kannte, an dem Kimbaroth die Welt Azon teilte.
    Goldan erklärte weiter, dass eine vollkommene Kontrolle der Menschheit durch die Flüsterer schon deshalb nicht möglich sei, weil die Kristallspiegel nur zu wenigen Bewohnern der Erde einen ungehinderten Zugang boten. Die meisten Menschen erschienen niemals in einem der Spiegel. Andere könne man nur beobachten. Bei einigen lernten die Flüsterer im Laufe von Jahren die Absichten zu erkennen, zu verstehen, wie sie dachten. Besaß ein solcher Mensch einen offenen Geist, dann vermochte er die Flüsterer zu hören. Nicht mit den Ohren, wie Goldan betonte, ihr Unterbewusstsein war empfänglich für den Rat des Kleinen Volkes.
    »Und als genau das sehen wir uns«, schloss Goldan. »Wir wollen die Menschen nicht kontrollieren, sondern wir möchten deren Ratgeber sein.«
    »Im Falle der Malkits, Ratgeber zum Bösen.«
    Goldan nickte ernst. »Der Kristall hat in ihnen alle Bosheit der Menschen gesammelt, so wie er in den Bonkas die Tugenden vereint.«
    »Wie mir scheint, seid ihr aber von der Vollkommenheit noch weit entfernt!« Jonas lachte, er musste an die vielen Missverständnisse der vergangenen Nacht denken.
    »Wir sind keine Götter«, merkte Darina freundlich an. »Nicht einmal Engel.«
    Jonas blickte in ihr ebenmäßiges Gesicht und fragte leise: »Bist du dir da ganz sicher?«

 
    DER KRISTALLRAT
     
     
     
    Die Sitzplätze am kreisrunden Kristalltisch des Rats reichten nicht aus, um allen Anwesenden Platz zu bieten. Darina

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