Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
endlich zu schlafen. Langsam kehrte die Wärme zurück.
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Es wurde fast Mittag, bevor meiner Aufbruchs stimmung der tatsächliche Aufbruch folgte. Man untersuchte mich ein weiteres Mal, Stein regelte die Formalitäten, damit ich das Krankenhaus auf eigenes Risiko verlassen konnte.
»Ich habe keinen richterlichen Beschluss«, erklärte er mir im Dienstwagen. Auch der zweite Ermittler war dabei, er wurde mir als Herr Wolfram vorgestellt. »Ich darf Fundgegenstände in der Villa nicht beschlagnahmen, darf sie mir von Ihnen aber zeigen lassen.«
Ich war von meinen Skrupeln befreit, wusste, auf welche Seite ich mich stellen sollte. Ich würde den Ermittlern Einlass gewähren, wollte Schränke öffnen, Papiere auf den Tisch bringen, Daten aufrufen.
»Ich war gestern im Wintergarten«, sagte ich, während wir an spiegelnden Bürotürmen vorbeifuhren. »Pascal hat dort eine Werkstatt. Ich fand Bilder von …« Ich nahm Robbies Fotogra fie heraus. »Ich hatte von der Existenz dieses Kindes keine Ahnung.«
»Wie haben Sie es erfahren?«
»Von Jessica.«
Verblüfft sah er mich an. »Sie haben mit seiner Exfrau gesprochen?« Stein gab mir das Bild zurück.
»Sie glaubt, dass Pascal tot ist.«
»Sie behauptet, dass sie glaubt, dass er tot ist.« Er steckte die Hand in die Lederjacke. »Diese Frau spielt in dem ganzen Gefüge eine ziemlich undurchsichtige Rolle.«
Ich nahm an, dass er rauchen wollte, doch seine Hand kam ohne Zigaretten wieder aus der Jacke hervor. »Wie meinen Sie das?«
»Ich bezweifle, dass Jessica sich aus dem Leben ihres Exmannes völlig zurückgezogen hat.«
»Natürlich nicht, sie haben zusammen ein Kind.«
»Es hat nicht nur mit dem Jungen zu tun. Die beiden haben sowohl ihre wirtschaftliche als auch die private Trennung in völligem Einvernehmen vollzogen. Wenn etwas so glatt abläuft, habe ich meine Zweifel.«
»Wieso?«
»Weil Trennungen, bei denen es um große Summen geht, fast immer einen Scherbenhaufen hinterlassen. Nicht bei den beiden: Zu gegebener Zeit stieg Jessica aus Pascals Firma aus, er kaufte ihre Anteile, und nach angemessener Frist ließen sie sich scheiden. Auch im Privatbereich wurde alles gerecht geteilt. Das ist mir noch nie untergekommen.«
»Wahrscheinlich war Jessica auf sein Geld nicht angewiesen.«
Er warf mir einen schrägen Blick zu. »Sie kommen mir manchmal wie eine Südseeinsulanerin vor, Frau Zuermatt.«
»Ach ja?«
»Ja. Wie ein Mädchen am Strand, das alles mit Muscheln bezahlt und von der Macht des Geldes noch nie etwas gehört hat.« Er warf mir ein helles Lächeln zu. »Wer Geld hat, will mehr davon, das scheint ein Virus zu sein, der jeden ansteckt. Wieso sollte Jessica eine Ausnahme sein?«
Ich sah aus dem Fenster. »Vielleicht bin ich wirklich so eine Inselbewohnerin.«
Wir erreichten die Villa, ich brachte die Männer hinein, zusammen gingen wir durch die Räume im Erdgeschoss.
Im Wohnzimmer blieb ich stehen. »Glauben Sie, dass Roman Zuermatt sich mit mir in Verbindung setzen wird?«
»Wahrscheinlich nicht.« Stein sah sich nur um, während Wolfram eine Schatulle auf dem Couchtisch öffnete. »Ich habe den Eindruck, die Familie will Sie aus allem draußen halten. Außerdem kann Zuermatt nicht wissen, dass Sie so schnell aus der Klinik entlassen wurden. Er würde Sie also im Krankenhaus zu sprechen versuchen.«
David fiel mir ein; er hatte nicht noch einmal angerufen. Dass ich ihn weggedrückt hatte, war wohl deutlich genug gewesen. Oder war er ins Krankenhaus gefahren? Bis jetzt kannte ich nur die Version des Mannes vom Betrugsdezernat. Wäre es nicht fair gewesen, Davids Darstellung der Dinge wenigstens anzuhören?
»Wo ist das Arbeitszimmer?«, fragte Stein.
Ich ging den beiden auf der Treppe voraus. Vor der Tür blieb ich stehen. »Sie gehen hoffentlich mit dem nötigen …« Ich suchte das rechte Wort. »Respekt ans Werk.« Ich ließ die beiden eintreten.
»Sie können sich gern davon überzeugen.« Stein sah mir meine Zweifel offenbar an und wartete, bis ich ihnen gestattete zu beginnen.
»Der Safe ist dort drüben.«
»Haben Sie ihn geöffnet?«
Ich nickte.
»Woher kannten Sie die Kombination?«
Ich erklärte es ihm.
»Kam es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass Ihr Mann Ihnen den Code anvertraute?« Er gab Wolfram ein Zeichen, der bückte sich vor dem Tresor.
»Damals nicht. Es war ein Scherz zwischen uns: Pascal nannte mir die Kombination eines Safes, der weit weg in einer Frankfurter Villa stand. Es gefiel mir, dass der
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