Das Echo der Schuld
eine Mutter sich so benehmen? Verschwindet von heute auf morgen, und andere Menschen können zusehen, dass es ihrem Kind gut geht!«
»Sie wusste ja nicht, dass ich gerade jetzt krank werde«, beschwichtigte Grace, » und ich hatte ihr vorher gesagt, dass ich gern für Kim sorge und dass sie bei uns bleiben kann, so lange sie will.«
»Trotzdem ist das keine Art. Abgesehen von den Sorgen, die sie uns allen bereitet hat. Ich muss sagen, ich finde …«
»Psst! Ich will nicht, dass Kim dich hört!«
Jack hatte weiter vor sich hin gebrummt, aber am Ende hatte er sich überreden lassen, die Fahrt nach Plymouth wie geplant durchzuführen. Grace hatte ihm versprochen, sich sofort wieder ins Bett zu legen, wenn sie Kim zur Schule gebracht hatte. Etwas anderes wäre ihr auch gar nicht übrig geblieben. Sie glühte vor Fieber, und jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte.
Musste das jetzt sein?, dachte sie müde.
Sie hatte Jack, den Choleriker, nicht noch weiter auf die Palme treiben wollen und daher abgewiegelt, als er über Virginia Quentin zu wettern begann, aber in Wahrheit war sie auch wütend. Ganz schön wütend. Sie wusste nämlich mehr als ihr Mann. Sie hatte Kim ein wenig ausgefragt und herausbekommen, dass Virginia tagelang drüben mit einem fremden Mann unter einem Dach gelebt hatte. Während ihr Ehemann sich in London aufhielt. Und jetzt waren beide verschwunden.
Grace konnte eins und eins zusammenzählen. Der arme Mr. Quentin! Betrogen und hintergangen auf seinem eigenen Grund und Boden. Und nun auch noch im Stich gelassen, zusammen mit dem kleinen Kind.
Das hätte ich nicht von ihr gedacht, überlegte sie, ich glaube, ich habe sie immer ganz falsch eingeschätzt. Diese ruhige, sanfte Frau. Aber stille Wasser sind bekanntlich tief.
»Wann kommt denn nun meine Mummie zurück?«, bohrte Kim.
Grace seufzte. »Das weiß ich nicht genau.« Sie nieste und putzte sich zum hundertsten Mal an diesem Morgen die Nase. Ihre Augen brannten und tränten.
»Bist du denn nicht mehr gern bei mir?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Kim seufzte. »Doch. Aber …« Sie drehte ihre Tasse herum.
»Was?«, fragte Grace und nieste schon wieder. »Ich dachte, zum Schulanfang ist sie da«, erklärte Kim. Und nieste nun auch.
Schöne Bescherung, dachte Grace erschöpft.
Virginia Quentin war die Frau von Jacks Arbeitgeber, aber dennoch würde sie ihr ein paar unangenehme Wahrheiten mitten in ihr hübsches Gesicht sagen, sobald sie sie wiedersah.
Sollte das jemals der Fall sein. Grace war sich da keineswegs sicher. Aber das brauchte Kim zu diesem Zeitpunkt nicht zu erfahren. Das Kind musste nun erst einmal über die Hürde des ersten Schultags kommen. Dann konnte man weitersehen.
3
Der Mann stellte sich als Superintendent Baker vor und sagte, er leite eine Sonderkommission, die sich mit der Aufklärung der Verbrechen an Sarah Alby und Rachel Cunningham beschäftige. Liz saß in ihrem Zimmer und hatte einen Berg von Prospekten über spanische Städte und Dörfer um sich herum ausgebreitet. Sie mochte mit Baker nicht ins Wohnzimmer gehen, wo der Fernseher wie üblich dröhnte und es außerdem ziemlich durchdringend nach einer Mischung aus Schnaps und Schweiß stank. Betsy Alby verkam mit jedem Tag mehr, in Riesenschritten, wie es Liz schien. Oder war das auch vorher so gewesen, und sie hatte es bloß nicht richtig gemerkt? Sie war empfindlicher geworden seit Sarahs Tod, hatte feinere Antennen bekommen. Inzwischen meinte sie, ihre Mutter kaum noch eine Woche länger ertragen zu können.
Sie bat den Superintendent, auf ihrer Schlafcouch Platz zu nehmen. Sie selbst setzte sich auf einen alten Küchenschemel, den sie mit einem selbst genähten, farbenfrohen Bezug aufgepeppt hatte. Sie dachte in diesem Moment, dass sie keinesfalls für alle Zeiten Besucher auf diese Art empfangen wollte.
»Ich sehe, Sie planen einen Urlaub«, sagte Baker und wies auf die Prospekte.
Ob er das unpassend fand angesichts der Tragödie, die sie gerade erlitten hatte?
Sie schüttelte den Kopf. »Keinen Urlaub, nein. Ich … ich möchte England verlassen. Weg von allem, verstehen Sie?« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Wohnzimmer, von wo man gerade einen Sprecher lautstark die Nachrichten des Tages verlesen hörte.
»Ich verstehe«, sagte Baker, »nach allem, was war, ist ein Neuanfang sicher eine gute Idee.«
»Ich möchte mir eine Gegend aussuchen, die mir gut gefällt. Und dann will ich dort in den Hotels fragen, ob sie jemanden
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