Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
nicht in Ordnung gewesen war.
    Baker schließlich brach das Schweigen. Er hatte einen Job zu erledigen. Er musste vorwärts denken.
    »Sie sagen, dass Sarah sehr heftig auf die Nichterfüllung ihres Wunsches nach einer Karussellfahrt reagiert hatte. War das auch für andere sichtbar?«
    Seine Sachlichkeit half Liz, aus dem sie umfangenden Schmerz aufzutauchen und ihre Sprache wiederzufinden. »Ja, natürlich. Sie kämpfte ja regelrecht gegen mich. Ich musste sie etliche Meter mitschleifen.«
    »Könnte es auch sein, dass jemand mitbekommen hat, worum es bei dieser Auseinandersetzung ging?«
    Liz überlegte. »Ich glaube schon. Sie brüllte ja ziemlich laut, dass sie zu dem Karussell wollte, und ich brüllte schließlich ebenfalls ziemlich laut, dass das nicht in Frage kommt. Umstehende können das durchaus gehört haben.«
    »Es wäre also denkbar«, meinte Baker, »dass jemand Zeuge des Konflikts wurde, Ihnen beiden dann gefolgt ist und bei sich bietender Gelegenheit – als Sie weggegangen waren, um die Sandwiches zu kaufen – die Kleine angesprochen und ihr eine Karussellfahrt angeboten hat. Ich vermute, Sarah wäre problemlos mit ihm mitgegangen?«
    »Ganz sicher«, sagte Liz zutiefst überzeugt, »für eine Karussellfahrt wäre sie mit jedem gegangen. Ohne das geringste Zögern.«
    »Hm«, machte Baker.
    »Aber«, fuhr Liz fort, »woher sollte dieser Mensch denn wissen, dass er Sarah allein antreffen würde? Er konnte ja nicht ahnen, dass ich … dass ich sie so lange allein lassen würde.«
    »Das konnte er natürlich nicht wissen. Aber diese Typen warten einfach auf eine Chance. Der Strand war sehr voll. Durchaus denkbar, dass sich eine Mutter und ihr Kind inmitten eines solchen Gedränges für ein paar Momente aus den Augen verlieren. Oder die Mutter schläft ein, das Kind spielt in einiger Entfernung … Ihm war wahrscheinlich klar, dass es blitzschnell gehen würde, dass Sarah sofort mitkommen und er mit ihr in der Menge verschwinden konnte. Er hat's einfach versucht. Und tatsächlich bot sich ihm dann ja auch die Chance.«
    »Diese vierzig Minuten!«, rief Liz verzweifelt. »Diese furchtbaren vierzig Minuten! Ich …«
    »Quälen Sie sich nicht so«, sagte Baker. »Es ist kein Trost für das, was passiert ist, aber vielleicht mindert es ein wenig Ihre Selbstvorwürfe, wenn ich Ihnen sage, dass er es auch so mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit geschafft hätte. Wenn der Ablauf so war, wie ich glaube, dann hatte er Ihre Tochter ins Visier genommen. Und es ist davon auszugehen, dass sich ihm irgendeine Möglichkeit geboten hätte. Bestimmt sind Sie für eine Weile weggedämmert. Mir geht das jedenfalls immer so, wenn ich in der Sonne liege.«
    Aber seine Kinder waren noch am Leben. Diesmal hatte Liz nicht das Gefühl, dass er aufrichtig war. Diesmal versuchte er sie zu trösten. Es gab Menschen, die ließen ihr vierjähriges Kind eben keinen Moment aus den Augen. Denen passierte so etwas nicht. Aber ihr war es passiert. Wegen ihres Leichtsinns, ihres Überdrusses, ihres Lebenshungers.
    »Sie können sich nicht vielleicht erinnern, ob im Bus jemand saß, der Sie öfter angeschaut hat?«, fragte Baker. »Und der auch danach in Ihrer Nähe stand? Oder jemand, der an der Bushaltestelle war und den Sie irgendwann später in der Nähe Ihres Liegeplatzes noch einmal sahen? Ohne dass es Ihnen in diesem Moment seltsam vorgekommen wäre? Aber vielleicht im Nachhinein …?« Er sah sie hoffnungsvoll an.
    Sie zerbrach sich den Kopf, aber da war völlige Leere. Wenn sie an jenen furchtbaren Tag dachte, dann sah sie nur sich. Und ihre kleine Tochter. Und hörte die Musik aus dem sich drehenden Karussell. Alles andere war ein Meer aus Gesichtern, Stimmen, Körpern. Eine unüberschaubare Masse von Menschen. Sie schaffte es nicht, jemanden herauszukristallisieren.
    »Nein«, sagte sie, »ich kann mich nicht erinnern. Mir ist niemand aufgefallen. Schon im Bus war ich so in meine Gedanken vertieft. Ich glaube, mich hätte jemand eine Stunde lang anstarren können, ich hätte es nicht bemerkt. Und auch später … nein, da ist nichts. Absolut nichts.«
    Baker war sichtlich enttäuscht. Er erhob sich. »Nun gut«, sagte er, »ich gebe Ihnen hier meine Karte. Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich bitte gleich an. Egal, wie nichtig Ihnen vielleicht ein Gedanke vorkommt, haben Sie bitte keine Hemmungen. Alles kann wichtig sein. Wirklich alles.« Er reichte ihr seine Karte.
    Jeffrey Baker, las Liz. Sie

Weitere Kostenlose Bücher