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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nur, dass wir Kim finden.«
    Sie hatte Recht. Es war nicht der Moment, sich auseinander zu setzen. Dafür würde später Zeit sein. Viel später.
    Ihm kam plötzlich ein Gedanke. »Warst du bei ihrem Baumhaus?«
    »Bei welchem Baumhaus?«
    »Das ich mit ihr gebaut habe, als sie vier war.«
    Ein heißer, langer Sommer. Sie hatten damals noch in London gelebt, den Juli und August ausnahmsweise nicht auf Skye, sondern in Ferndale verbracht. Kim hatte gerade eine Phase durchlebt, in der sie sich besonders stark an ihren Vater klammerte, und Frederic hatte sich viel Zeit für sie genommen. Er war mit ihr zum Baden gefahren und durch die Wälder gestreunt, hatte mit ihr Tiere beobachtet und Blumen gesammelt. Und ein Baumhaus gebaut. Ein richtig tolles Baumhaus mit einer Leiter, die man nach oben ziehen konnte, und mit einer Bank zum Sitzen und sogar einem wackeligen Tisch darin.
    »Aber da ist sie doch ewig nicht mehr gewesen«, sagte Virginia.
    »Trotzdem erinnert sie sich. Und es war eine besonders glückliche Zeit für uns. Möglich, dass es sie deshalb dorthin zieht.«
    Ihr Familienleben war in jenem Sommer von großer Harmonie erfüllt gewesen. Manchen Nachmittag hatten sie alle zusammen in dem Baumhaus verbracht, obwohl Virginia immer gefürchtet hatte, es werde unter ihnen zusammenbrechen. Kim hatte gespielt, dass sie ihre Eltern zum Tee einlud, hatte in Plastiktassen aus ihrer Puppenküche Wasser serviert und kleine Stückchen Sandkuchen auf winzigen Tellern.
    Sie hatten viel Spaß gehabt. Das Baumhaus mochte für alles stehen, was Kim im Augenblick zu verlieren fürchtete.
    »Findest du die Stelle noch?«, fragte Frederic.
    »Ja. Natürlich.«
    »Pass auf, du schaust dort nach. Wenn sie da auch nicht ist, verständigst du sofort die Polizei. Und rufst mich an. Ich werde irgendeinen Weg finden, heute Nacht noch nach Ferndale zu kommen.«
    »In Ordnung.« Er konnte ihrer Stimme anhören, wie verzagt sie war. Die Angst um Kim schnürte ihr buchstäblich den Hals zu.
    »Ich warte hier neben dem Apparat«, sagte er und legte den Hörer auf.
    Er glaubte nicht, dass Kim entführt worden war. Nicht aus dem Haus der Walkers. Sie war weggelaufen, protestierte auf die einzige Art, die ihr zur Verfügung stand, gegen das drohende Auseinanderbrechen ihres Weltgefüges.
    Aber auch das war schlimm genug. Er hatte vorgehabt, die nächste Zeit in London zu bleiben, abzuwarten, dass Virginia den nächsten Schritt auf ihn zu tat. Sie war aus ihrer Beziehung davongelaufen, sollte sie sich nun etwas überlegen, wie man mit dem Scherbenhaufen umgehen konnte. Nun wurde ihm klar, wie kindisch seine Einstellung war und dass er sie möglichst schnell aufgeben sollte. Denn bei der ganzen Geschichte ging es nicht bloß um ihn und Virginia, ihrer beider Gefühle füreinander, die Verletzungen, die sie ihm zugefügt hatte, und um das, was er beigetragen hatte, es so weit kommen zu lassen. In allererster Linie ging es um Kim. Ihr Wohl mussten sie im Auge haben, dann erst konnten sie an sich selbst denken.
    Spätestens morgen würde er nach King's Lynn aufbrechen. Sie mussten miteinander reden. Besprechen, wie die nächsten Wochen aussehen sollten. Wie sich mögliche Änderungen im Familienleben mit Kim am besten und schmerzlosesten vereinbaren ließen.
    Kim.
    Er starrte das Telefon an.
    Kim, komm zurück! Wo bist du? Komm zurück, alles wird gut!
    Die nächste Stunde, das war ihm klar, würde zu den längsten seines bisherigen Lebens zählen.
     

Dienstag, 5. September
     
    1
     
    Es war kurz vor sechs Uhr am Morgen, als das Taxi die Auffahrt zu Ferndale House hochfuhr. Es regnete. Der Fahrer blendete die Lichter auf, gespenstisch anmutend tanzten sie den gewundenen Weg zwischen den dunklen, nassen Bäumen entlang.
    Der Wagen hielt vor dem Haus, hinter dessen Fenstern noch alles dunkel war. Nirgends brannte eine Lampe. Nebel spannte sich wie ein feines Netz zwischen den Schornsteinen. Der Morgen erinnerte an den späten Herbst. Hätte nicht so viel Laub noch an den Baumästen gehangen, es hätte ein anbrechender Novembertag sein können.
    Die Haustür öffnete sich, und Livia trat heraus. Sie trug Jeans und Turnschuhe und eine blaue Regenjacke. In der Hand die Tasche mit den Kleidungsstücken, die sie von Virginia bekommen hatte.
    Der Fahrer stieg aus und öffnete ihr die hintere Wagentür. »Ich bin pünktlich«, sagte er stolz.
    Livia nickte. »Ja. Danke schön.«
    »Also, zum Bahnhof?«, vergewisserte er sich.
    Sie nickte. »Zum

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