Das Echo der Schuld
zwielichtig. Irgendwie … unehrlich. Sehr gut aussehend, sicher. Sehr gewinnend in seiner Art. Und doch … mir graute vor ihm. Ich hätte gar nicht sagen können, weshalb. Er war mir zutiefst suspekt und unsympathisch.«
Sie schwieg, wollte nicht sagen, was sie dachte. Sie wusste jetzt, dass sie sich in der ersten Sekunde, da sie ihn sah, in Nathan Moor verliebt hatte. Und auch wenn Liebe vielleicht ein zu großes Wort für jenen ersten Moment war, so hatte sie ihn doch zumindest begehrt, sich nach ihm gesehnt. Sie hatte es sich nicht eingestanden, aber das Gefühl war da gewesen, und sie vermutete, dass auch Frederic dies unterschwellig gespürt hatte. Und dass er deshalb nicht anders gekonnt hatte, als Nathan Moor abzulehnen und zu verabscheuen. Seine Gefühle für diesen Mann waren, ohne dass er es wusste, von Angst und einer furchtbaren Erkenntnis gesteuert worden: An diesen Mann werde ich meine Frau verlieren.
»Ich sagte dir ja schon, er hat nicht ein Buch veröffentlicht«, fuhr Frederic fort, »es stimmt nicht, dass er …«
»Ich weiß. Er hat mir das alles erklärt.«
»Ach ja? Und welche Gründe hat er angeführt? Immerhin hat er uns belogen und getäuscht in dieser Sache. Nicht gerade die ganz anständige Art, oder? Aber du scheinst so blind verknallt zu sein, dass du ihm alles nachsiehst!«
»Seine Gründe haben mich überzeugt.«
»Er ist ein Schmarotzer. Und er ist ein bettelarmer Schlucker. Er besitzt buchstäblich nichts mehr auf dieser Welt! Und es ist mehr als fraglich, ob je ein Buch von ihm erscheinen wird. Ob er je Geld verdienen wird. Er hat alles verloren, als sein verdammtes Schiff unterging. Er ist in einer absolut verzweifelten Lage. Ist dir nie die Idee gekommen, dass es auch ganz einfach Geld sein könnte, was er bei dir sucht? Ein Dach über dem Kopf? Eine Existenz?«
»Die Tage mit ihm …«
»Ja? Was?«
»Die Tage mit ihm sagen mir einfach etwas anderes.«
Frederic schloss für einen Moment gequält die Augen. »Und noch mehr vermutlich die Nächte«, flüsterte er.
Virginia blieb stumm.
Es regnete noch immer, als sie schließlich auf die Straße traten. Es war sehr kalt geworden.
»Das ist der kälteste und nasseste September, an den ich mich seit Jahren erinnern kann«, sagte Frederic.
»Dieser September macht traurig«, stimmte Virginia zu.
»Das liegt aber nicht in erster Linie am Wetter«, meinte Frederic.
Sie sprachen nicht mehr, als sie im Auto nach Hause fuhren. Ringsum an den Bäumen färbte sich das Laub bunt und hing triefend und trostlos herunter.
Wo werden Kim, Nathan und ich Weihnachten verbringen?, fragte sich Virginia plötzlich. Über die einfache Frage, unter welchem Dach sie in Zukunft leben würden, hatte sie so konkret noch gar nicht nachgedacht. Was hatte Frederic gesagt? Er besitzt buchstäblich nichts mehr auf dieser Welt!
Sie selbst besaß ebenfalls nicht viel. Das Haus ihrer Eltern in London war längst verkauft, ihre Eltern nach Menorca umgesiedelt. Ihrer Tochter, ihrer Enkelin und dem neuen Lebensgefährten würden sie immer Unterkunft gewähren, aber das war in dem kleinen Häuschen dort keine Lösung auf Dauer. Zudem glaubte Virginia nicht, dass sich Nathan auf der Baleareninsel, auf der es vor allem im Herbst und Winter von alten Menschen nur so wimmelte, besonders wohl fühlen würde. Das Leben im Haus seines verstorbenen Schwiegervaters hatte ihn jahrelang aller Kreativität beraubt. Der betuliche Tagesablauf des etwas spießigen Ehepaars Delaney würde ihn sicherlich kaum mehr inspirieren.
Ich werde das möglichst bald mit ihm besprechen, nahm sie sich vor.
Das Tor zum Park von Ferndale stand offen. Virginia hoffte, dass Nathan Kim bei Grace abgesetzt hatte und dann verschwunden war, denn es war nicht im Geringsten der Moment, an dem sich die beiden Männer begegnen durften. Sie bremste direkt vor Graces Haustür. »Ich hole nur schnell die Kleine ab«, sagte sie.
Aber da wurde die Tür schon aufgerissen, und Grace kam herausgestürzt.
»Mrs. Quentin, ich warte schon ständig am Fenster … Haben Sie Kim abgeholt?«
»Nein. Ich hatte doch …« Sie verschluckte den Namen, denn nun stieg auch Frederic aus.
»Was ist los?«, fragte er.
»Kim war nicht mehr in der Schule, als ich sie abholen wollte, Sir. Aber ich dachte …« Auch Grace wagte es nicht, weiterzusprechen. Unruhig irrten ihre fiebrig glänzenden Augen von einem zum anderen.
Virginia gab sich einen Ruck. Die Situation war unwürdig, sie hatte sie verschuldet, sie
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