Das Echo der Schuld
sich auf einer Weltumsegelung. Direkt vor den Hebriden kollidierten sie mit einem Frachter. Ihr Schiff sank. Sie konnten sich nur mit der Rettungsinsel in Sicherheit bringen. Da Mrs. Moor zuvor bei uns gejobbt hatte, fühlte ich mich irgendwie … verantwortlich. Sie besaßen ja nichts mehr, von einem Moment zum anderen. Ich nahm sie in unser Ferienhaus auf.«
»Verstehe. Und nun hat sich Mr. Moor hier ganz in der Nähe eingemietet?«
»Ja.«
»Wo ist seine Frau?«
»Sie ist gestern früh abgereist. Vermutlich versucht sie, über die deutsche Botschaft in London nach Deutschland zurückzukommen. «
»Aber ihr Mann ist hier geblieben?«
»Ja.«
Baker neigte sich ein wenig nach vorn. »Verzeihen Sie«, sagte er, »aber so ganz verstehe ich es immer noch nicht. Weshalb sitzt dieser Schiffbrüchige nun in Hunstanton? Wie wollte er von dort übrigens Ihre Tochter hier in King's Lynn von der Schule abholen?«
»Er hat mein Auto.« Es war Virginia klar, wie befremdlich dies alles in den Ohren des Superintendent klingen musste. »Das Auto war auch der Grund … Es sprang gestern Nachmittag plötzlich nicht an. Deshalb rief er Grace an. Grace Walker, unsere …«
»Ich weiß«, unterbrach Baker, »von Mrs. Walker haben Sie ja bereits berichtet. Mr. Moor hat also Ihr Auto?«
Ihm wird gerade manches klar, dachte Virginia.
Sie schaute Frederic nicht an. »Mr. Moor und ich … wir möchten in Zukunft zusammen bleiben. Zwischen uns … ich hätte mein Kind nicht einer Zufallsbekanntschaft anvertraut, Superintendent. Es ist inzwischen sehr viel mehr als das.«
Ein verlegenes Schweigen folgte ihren Worten. Frederic starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. Superintendent Baker notierte sich etwas.
»Ist Ihre Tochter über diese Pläne unterrichtet?«, fragte er.
»Nein«, sagte Virginia, »aber ich glaube, sie spürt, dass sich etwas verändert. Sie ist verängstigt. Ihr Weglaufen am vorgestrigen Abend hatte wohl etwas damit zu tun.«
»Nun«, sagte Baker, »so bedauerlich die derzeitigen … Familienkomplikationen in Ihrem Haus sind, so denke ich doch, dass Sie sich unter diesen Umständen auch ein wenig beruhigter fühlen dürfen. Es sieht mir immer mehr danach aus, dass Kim vor all diesen sich anbahnenden Umbrüchen weggelaufen ist. Sie versteckt sich irgendwo, wobei es mir sonderbar erscheint, dass ein siebenjähriges Kind dies so lange durchhalten sollte –angesichts von Hunger, Durst und der ganz natürlichen Angst vor der Dunkelheit. Ich fürchte daher, dass sie den Rückweg nicht mehr findet und irgendwo herumirrt.« Er erkannte die Panik in den Augen der Eltern und hob beide Hände. »Ich weiß, diese Vorstellung ist auch alles andere als schön. Und wir müssen alles tun, sie so schnell wie möglich zu finden. Aber es ist doch immer noch besser als der Gedanke an … an diese ungeheuerlichen Verbrechen, die geschehen sind.«
Virginia und Frederic sahen einander an. Beide dachten sie in diesem Moment das Gleiche: Vielleicht war sie tatsächlich weggelaufen. Vielleicht suchte sie wirklich verzweifelt nach dem Heimweg. Aber irgendwo da draußen befand sich auch jener Irre noch auf freiem Fuß, der es auf kleine Mädchen abgesehen hatte, und solange Kim nicht zu Hause war, bestand die Gefahr, dass sie ihm in die Hände fiel.
»Was werden Sie konkret als Nächstes tun, Superintendent?«, fragte Frederic.
»Ich werde Polizeistaffeln losschicken, die mit Hunden die ganze Gegend absuchen. Wir werden jeden Grashalm umdrehen, das kann ich Ihnen versprechen. Eventuell geben wir auch Suchmeldungen über den Rundfunk aus.«
»Aber ist das nicht zu gefährlich?«, fragte Virginia. »Denn dann erfährt doch auch der … dieser Geisteskranke, dass hier ein kleines Mädchen unbeaufsichtigt herumläuft!«
»Aber damit ahnt er immer noch nicht, wo sie ist. Zudem weiß ich inzwischen einiges über seine Methode. Er greift sich nicht irgendein Kind und zerrt es in sein Auto, das wäre ihm vermutlich viel zu riskant. Er baut vorher eine Beziehung zu dem Kind auf, so dass dieses dann, ohne irgendein Aufsehen zu erregen, zu ihm einsteigt. Er geht sehr planvoll und vorausschauend vor.« Er überlegte kurz. »Etwas Derartiges haben Sie bei Kim nicht beobachtet in der letzten Zeit, oder? Sie hat Ihnen nicht von einem neuen Freund oder einem netten fremden Mann berichtet?«
»Nein. Nein, absolut nicht.«
»Ich werde trotzdem auch noch einmal mit ihren Freundinnen sprechen«, sagte Baker. »Kleine Mädchen vertrauen oftmals
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