Das Echo der Schuld
der besten Freundin doch mehr an als den Eltern. Sie können mir da sicher Adressen und Telefonnummern geben, Mrs. Quentin?«
»Natürlich«, sagte Virginia und stand auf.
Als sie mit der Klassenliste zurückkehrte, hörte sie, wie Frederic gerade sagte: »Ich möchte unbedingt, dass Sie diesen Nathan Moor überprüfen, Superintendent. Der Mann ist mir mehr als suspekt. Mir ist klar, Sie werden nun denken, dass ich eine verständliche Abneigung gegen ihn hege, aber ich kann Ihnen nur versichern, er war mir schon zutiefst unangenehm, lange bevor er … sich für meine Frau interessierte.«
»Nathan Moor steht ganz oben auf meiner Liste«, versicherte Baker.
Als er gegangen war, blickte Virginia Frederic zornig an. »Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn Nathan überprüft wird. Aber es war unnötig, ihn derart bei dem Superintendent anzuschwärzen!«
Frederic schloss sorgfältig die Haustür. »Ich habe ihn nicht angeschwärzt. Ich habe gesagt, was ich denke. Es geht um das Leben meines Kindes. Da werde ich doch nicht mit Informationen hinter dem Berg halten, nur weil das irgendwelche Empfindlichkeiten bei dir auslöst.«
»Er hat nichts mit ihrem Verschwinden zu tun!«
»Dabei würde er in das Muster passen, findest du nicht? Der nette Mann, der ganz neu in Kims Leben getreten ist und zu dem sie bedenkenlos ins Auto steigen würde.«
»Er hat sich nicht an sie herangemacht.«
»Nein, er war diesmal besonders clever. Er bumst ihre Mutter. Auch keine schlechte Strategie.«
»Du bist abartig!«, schrie Virginia. Sie rannte die Treppe hinauf, lief in ihr Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Neben ihrem Bett sank sie auf die Knie. Verschwommen sah sie hinter Tränenschleiern das Gesicht ihrer Tochter im silbernen Bilderrahmen auf ihrem Nachttisch. Dieses geliebte, süße Gesicht. Sie ließ den Kopf auf die Bettdecke sinken und wurde überschwemmt von ihren Tränen.
Und einem namenlosen, unendlichen Schmerz.
3
Gegen Mittag erschienen Jack und Grace; Grace war völlig verweint und sah noch immer aus, als habe sie Fieber. Sie brach sofort wieder in Tränen aus, als sie Virginia gegenüberstand.
»Ich kann es mir nicht verzeihen«, schluchzte sie, »ich kann mir einfach nicht verzeihen, dass ich zu spät zur Schule gekommen bin.«
»Hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen, Grace«, beschwichtigte sie Frederic, noch ehe Virginia antworten konnte, »der Fehler liegt bei uns. Ganz gewiss nicht bei Ihnen.«
Obwohl das Verwalterpaar alles mitbekam, konnte Virginia nicht an sich halten. »Der Fehler liegt bei mir«, sagte sie heftig, »nicht bei uns! Das ist es doch, was du in Wahrheit denkst, Frederic, also solltest du es auch sagen.«
»Bei uns«, wiederholte er, »denn wie die Dinge nun einmal lagen, hätte ich hier sein müssen und nicht in London sein dürfen.«
Wie die Dinge nun einmal lagen …
Virginia wusste genau, was er damit sagen wollte: Da meine Frau gerade von ihren Hormonen überwältigt wurde und als Mutter komplett ausfiel, hätte ich da sein und mich um das Kind kümmern müssen.
Sie wäre ihm ins Gesicht gesprungen, hätte sie sich nicht gescheut, Grace und Jack ein unvergessliches Schauspiel zu bieten.
Jack, der selten durch allzu große Sensibilität auffiel, schien die Hochspannung zu bemerken, die in der Luft lag.
»Äh, weshalb ich hier bin«, sagte er rasch, »ich dachte, wir könnten noch einmal die Umgebung absuchen, Sir. Ich vermute, die Polizei tut das auch …«
»Ja«, sagte Frederic.
»… aber überall können die nicht sein. Ich meine … es ist so unerträglich, nur herumzusitzen …«
»Da haben Sie Recht«, sagte Frederic, »wir gehen gleich los. Virginia, du bleibst beim Telefon?«
»Ich gehe nicht weg.«
»Kann ich irgendetwas tun, Mrs. Quentin?«, fragte Grace und putzte sich die Nase. Sie sah so krank und elend aus, dass sich Virginia trotz der furchtbaren Angst um Kim nun auch um sie zu sorgen begann.
»Grace, Sie sollten zum Arzt gehen. Oder einen Arzt kommen lassen. Sich auf jeden Fall ins Bett legen. Es hat keinen Sinn, dass Sie sich jetzt eine Lungenentzündung holen. Damit ist niemandem gedient.«
»Aber ich halte es nicht aus …« Grace fing schon wieder an zu weinen und kramte nach einem neuen Taschentuch.
Nach langem Hin und Her gelang es Virginia, Grace zu überreden, nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen, und schließlich waren auch die beiden Männer verschwunden, Frederic sichtlich erleichtert, dass er etwas zu tun
Weitere Kostenlose Bücher