Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
geleert und dann das Schiff gekauft. Ich habe wenigstens noch durchgesetzt, dass wir unter der Adresse von Bekannten gemeldet bleiben und eine Krankenversicherung für Auslandsreisen abschließen. Aber ansonsten … Als finanzielle Reserve haben wir nur den Schmuck mitgenommen, den ich von meiner Mutter geerbt hatte. Der war ziemlich viel wert. Aber er liegt jetzt am Meeresgrund.«
    »Vielleicht könnten Taucher …«
    Livia wischte sich mit dem Handrücken über die verweinten Augen. »Das hat Nathan schon den Polizisten gefragt. Wir waren erst auf der Polizeiwache, wissen Sie, weil die Fischer gar nicht wußten, wohin sie mit uns sollten. Aber der Polizist hat nur gelacht. Wir kennen nicht einmal die genaue Stelle, wo die Dandelion gesunken ist, und dann ist wahrscheinlich alles weit verstreut, und der Meeresgrund ist auch noch felsig, voller Spalten und Schluchten … Er meinte, die Taucher finden sowieso nichts, aber uns kostet jeder Tag, den sie mit der Suche verbringen, ein Vermögen … Es wäre Wahnsinn, das zu tun …« Sie starrte Virginia trostlos an. »Es wäre Wahnsinn«, wiederholte sie.
    Virginia dachte, dass Frederic an diesem Morgen tatsächlich eine gewisse Hellsichtigkeit bewiesen hatte, als er von der Versicherungsfrage gesprochen hatte. Ihr war es eigenartig vorgekommen, an Geld zu denken, wenn jemand gerade knapp mit dem Leben davongekommen war, aber nun, da sie diesem Häuflein Elend gegenübersaß, begriff sie, wie tiefgreifend tatsächlich auch die materielle Tragödie dieser Menschen war. Wie konnte man leben, wenn man nichts, gar nichts mehr auf der Welt besaß? Und kaum Hoffnung hatte, irgendetwas von dem Verlorenen zurückzubekommen.
    Sie überlegte. »Haben Sie gar keine Verwandten? Eltern, Geschwister? Irgendjemand, der Ihnen unter die Arme greifen könnte, bis Sie sich … erholt haben?«
    Livia schüttelte den Kopf. »Nathan hat seine Eltern ganz früh verloren. Angehörige gab es keine. Er ist in verschiedenen Heimen aufgewachsen. Und bei mir war nur noch mein Vater am Leben. Er ist dann vergangenes Jahr im September gestorben.« Sie lächelte ein wenig, es war ein trauriges, bitteres Lächeln. »Damit fing ja das Unglück auch irgendwie an …«
    Virginia setzte an zu fragen, was genau sie damit meinte, doch da wurde die Küchentür geöffnet, und ein Mann trat ein. Sie dachte sofort, dass es Nathan sein musste. Er war tief gebräunt, wenn auch ein fahler Ton auf seiner Haut lag, der besonders bei den Lippen auffiel und der darauf hinwies, dass es diesem Mann nicht so gut ging, wie man auf den allerersten Blick meinen mochte. Er war groß, schlank und muskulös. Der typische Seefahrer. Bis auf das Gesicht. Eher ein Intellektueller, dachte sie.
    »Livia, ich …«, begann er, dann sah er, dass Besuch da war. »Entschuldige«, fuhr er auf Englisch fort, »ich dachte, du bist allein.«
    »Nathan, das ist Virginia Quentin«, sagte Livia, »die Dame, in deren Ferienhaus ich in der letzten Woche ausgeholfen habe. Virginia, das ist mein Mann Nathan.«
    »Nathan Moor«, sagte Nathan und reichte Virginia die Hand. »Meine Frau hat viel von Ihnen erzählt.«
    »Es tut mir sehr leid, was geschehen ist«, sagte Virginia, »wirklich, das ist ein schreckliches Unglück.«
    »Ja, das ist es«, stimmte Nathan zu. Er wirkte angeschlagen, aber nicht so am Boden zerstört wie seine Frau. Manchmal, dachte Virginia, hängen derartige Eindrücke aber auch einfach mit Äußerlichkeiten zusammen. Livia sah auch deshalb so elend aus, weil sie in Mrs. O'Brians schrecklichem Morgenmantel steckte. Nathan trug offensichtlich seine eigenen Sachen, Jeans und einen Pullover. Sie waren zerknittert und angegriffen vom Salzwasser, aber sie passten, und sie gehörten zu ihm. Kleinigkeiten wie diese vermochten die Psyche eines Menschen durchaus zu stabilisieren.
    »Was sagt der Anwalt?«, fragte Livia ihren Mann, aber sie machte nicht den Eindruck, als interessiere sie die Antwort wirklich. Zumindest schien sie nicht zu glauben, dass es eine Antwort sein könnte, die Zuversicht vermittelte.
    »Er sagt, dass es schwierig werden wird«, antwortete Nathan denn auch mit verhaltenem Optimismus in der Stimme. »Vor allem, wenn es uns nicht gelingt, herauszufinden, welcher Frachter uns gerammt hat. Und dann müssen wir es noch beweisen.«
    »Wie soll das denn gehen?«
    »Ich werde versuchen, einen Weg zu finden. Aber gib mir ein bisschen Zeit. Ich bin auch erst gestern aus dem Wasser gefischt worden. Ich brauche einen Moment,

Weitere Kostenlose Bücher