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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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siebenjährigen Tochter lebte, in der Einsamkeit eines viel zu großen Landhauses, das wiederum in einem riesigen Park lag, dessen hohe Bäume in die Zimmer zu wachsen und sie zu erdrücken schienen. Ferndale House, der Landsitz der Quentins in Norfolk, war sehr düster, und er war kaum der richtige Ort für eine sechsunddreißigjährige Frau, die eigentlich mitten im Leben hätte stehen sollen.
    Frederic überlegte oft, dass er mehr Zeit und Energie darauf verwenden müsste, herauszufinden, was seine Frau so traurig stimmte, was sie häufig so bedrückt erscheinen ließ. Gespräche hätten ihr vielleicht geholfen, aber er war nicht sehr geübt darin, die komplizierte Seelenlage eines anderen Menschen zu ergründen. Eher verspürte er oft eine unbestimmte Furcht davor, sich in Regionen zu wagen, die ihm fremd waren und von denen er nicht wusste, was alles er dort finden würde. Manches wollte er einfach nicht wissen.
    Und außerdem: Gerade jetzt hatte er einfach so schrecklich wenig Zeit.
    Denn Frederic Quentin war entschlossen, sich ins Unterhaus wählen zu lassen, und er wusste, dass er gute Chancen hatte.
    Die kleine, feine Privatbank, die sein Urgroßvater gegründet hatte und die er selbst heute mit großem Erfolg führte, sicherte ihm neben beträchtlichem Wohlstand auch den Kontakt zu einflussreichen und vermögenden Persönlichkeiten des Landes. Die Harold Quentin & Co. galt als beste Adresse für die Mitglieder der upper class, und Frederic Quentin hatte es immer verstanden, für seine Kunden nicht nur der zuverlässige, umsichtige Bankier zu sein, sondern auch der Freund, der zu großzügigen Festen in sein Landhaus einlud, der an Golfturnieren und Segelausflügen teilnahm, der Kontakte genau dort pflegte, wo sie ihm nützlich sein konnten. Er hatte sich ein erstklassiges Sprungbrett ins Parlament gebaut. Mit vierundvierzig Jahren war er dicht davor, sein Ziel zu verwirklichen.
    Eine sich durch intensive Gespräche möglicherweise verschlechternde psychische Verfassung Virginias war das Letzte, was im Augenblick passieren durfte.
    Was blieb, war das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber.
    Als sie ihm beim Mittagessen erzählte, dass sie das schiffbrüchige deutsche Ehepaar in ihrem Ferienhaus einquartieren wollte, dass sie genau genommen dies mit den beiden bereits – von ihrer Seite aus sogar verbindlich – vereinbart hatte, wollte er sie schon verärgert fragen, was sie sich dabei denke, so einfach über ein Haus zu verfügen, das schließlich nicht ihr allein gehörte, und darüber hinaus genau das zu tun, was zu unterlassen er sie gebeten hatte. Aber er schluckte seine Verärgerung und die dazugehörende Bemerkung mit einiger Mühe hinunter.
    Frauen, die zuviel allein sind, tun seltsame Dinge, dachte er resigniert, manche haben plötzlich zwanzig herrenlose Hunde im Haus, andere bieten schiffbrüchig gewordenen Fremden einen Unterschlupf an. Wahrscheinlich kann ich noch froh sein, dass ich daheim nicht ständig auf drogensüchtige Kids treffe, die sie irgendwo aufsammelt. Insgesamt komme ich noch immer ganz gut weg bei ihr.
    »Sei trotzdem vorsichtig«, sagte er.
    Sie sah ihn an. »Das sind nette Menschen. Wirklich.«
    »Du kennst sie doch gar nicht.«
    »Ich habe durchaus ein bisschen Menschenkenntnis.«
    Er seufzte. »Das bestreite ich doch auch gar nicht. Aber … aus ihrer Situation heraus können die sich zu Zecken entwickeln. Egal, wie nett sie sind. Diesen Gedanken solltest du zumindest im Kopf behalten.«
    Er hatte den Eindruck, dass auch sie seufzte, eigentlich unhörbar, eher an ihrer Mimik zu erkennen. »Sie ziehen – vielleicht – morgen hier ein. Wir reisen zum selben Zeitpunkt ab. Ich kann einfach das Problem nicht erkennen.«
    »Ist das Schiff von den Leuten für immer weg?«, erkundigte sich Kim, die etwas unlustig in ihrem Spinat stocherte.
    »Für immer«, sagte Frederic. »Die sind arm wie Kirchenmäuse.«
    »Wie Kirchenmäuse?«, wunderte sich Kim.
    »Das ist nur so ein Ausdruck«, erklärte Virginia. »Er soll besagen, dass diese Leute nichts mehr haben auf der Welt. Was sie aber nicht zu schlechten Menschen macht.«
    »Oh, sie haben aber doch noch etwas«, sagte Frederic spitz, »und zwar eine kostenlose, unbefristete Unterkunft. Ich würde sagen, das ist gar nicht so schlecht!«
    »Unbefristet! Wer sagt das denn? Lediglich solange sie hier sein müssen, um ihre Angelegenheiten zu klären, werden sie …«
    »Virginia«, unterbrach Frederic, »manchmal bist du wirklich ein

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