Das Echo der Schuld
bisschen naiv. Hast du mit ihnen einen Termin vereinbart, wann sie hier wieder ausziehen müssen? Ihnen ein Datum genannt?«
»Natürlich nicht. Ich habe …«
»Dann ist ihr Aufenthalt in unserem Haus unbefristet. Und was die Klärung ihrer Angelegenheiten betrifft: Da gibt es nichts zu klären. Darin besteht ja ihr Schlamassel. Was das angeht, ist es gleichgültig, ob sie die Insel heute oder morgen oder in drei Monaten verlassen.«
Sie erwiderte nichts. Er fragte sich, ob sie ihn für kaltherzig hielt.
»Im Übrigen«, fügte er hinzu, »habt ihr auch schon das Problem gelöst, wovon sie eigentlich leben wollen? Deine neuen Freunde?«
Ihrer Miene sah er an, dass diese Frage wohl bislang nicht aufgetaucht war.
»Ich meine«, sagte er, »sie haben nun ein Dach über dem Kopf, aber sie müssen ja auch irgendetwas essen oder trinken. Unsere Vorratskammer gibt nicht allzu viel her. Du solltest dich also darauf gefasst machen, dass sie dich um Geld anpumpen werden. Sie haben gar keine andere Möglichkeit.«
»Es wird uns nicht ruinieren, ihnen ein bisschen Geld zu leihen«, sagte Virginia, »ich bin sicher, sie werden alles daransetzen, uns …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Ein Klopfen an der Haustür, nicht fordernd, aber durchaus deutlich, hatte sie unterbrochen.
»Das könnten sie sein«, sagte sie, »sie müssen ja den Schlüssel abholen.«
Frederic legte seine Gabel zur Seite und lehnte sich zurück. »Irgendwie habe ich keinen Appetit mehr«, sagte er.
Es waren tatsächlich Nathan und Livia, die vor der Tür standen. Livia sah viel besser aus als am Morgen. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt von Virginia und hatte sich die Haare gewaschen und gekämmt. Sie wirkte noch immer verzweifelt, aber nicht mehr so völlig verloren. In der Hand hielt sie die Reisetasche, die Virginia mit Kleidungsstücken vollgepackt hatte.
»Sie sollen das alles behalten«, sagte Virginia, »nicht gleich wieder zurückgeben!«
Livia errötete tief und starrte auf den Boden.
»Es ist uns wirklich sehr unangenehm«, sagte Nathan, »aber … nun, wir wollten die Sachen nicht zurückgeben. Wir haben sie mitgebracht, weil … Ich meine, wäre es möglich, dass wir heute bereits hier einziehen? Es ist unverschämt von uns, wir zerstören Ihnen womöglich den letzten Ferientag, aber das Problem ist, dass wir Mrs. O'Brian einfach nicht bezahlen können, und eine weitere Nacht bei ihr …« Er sprach nicht weiter, deutete nur mit einem hilflosen Heben der Hände an, dass er keinen anderen Weg sah als den des demütigen Bittens bei Fremden.
Virginia empfand es beinahe als eine Schicksalsironie, mitzuerleben, wie schnell und präzise all die düsteren Prophezeiungen Frederics eintrafen. Zwar hatte er nicht ausdrücklich davon gesprochen, dass die Fremden früher als geplant einziehen würden, aber er hatte deutlich gemacht, dass er eine rasche Weiterentwicklung der Dinge fürchtete. Nun standen Nathan und Livia mit ihrem wenigen Hab und Gut vor der Tür – und wie hätte sie sie fortschicken sollen?
»Selbstverständlich können Sie heute schon einziehen«, sagte sie, »wie dumm von mir, dass ich nicht gleich daran gedacht habe …« Sie hatte natürlich daran gedacht, es Frederics wegen jedoch für besser gehalten, den Einzug der Fremden auf die Zeit nach ihrer eigenen Abreise zu legen.
Nathan schien ihre Gedanken lesen zu können. »Ist denn Ihr Mann auch damit einverstanden?«, fragte er.
»Machen Sie sich da keine Sorgen«, wich sie aus, hatte aber das Gefühl, dass der Fremde längst wusste, dass es von Seiten Mr. Quentins Schwierigkeiten gab.
Livia schien das auch zu spüren und sah aus, als werde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Virginia ergriff ihren Arm und zog sie rasch ins Haus herein.
»Ich zeige Ihnen jetzt erst einmal Ihr Zimmer«, sagte sie.
Es gab ein geräumiges Gästezimmer im ersten Stock, aber es lag gleich neben Frederics und Virginias Schlafzimmer, und auch das Bad musste man sich teilen. Virginia konnte sich Frederics Gemaule nur zu gut vorstellen. Sie fühlte sich, als sei sie unversehens zwischen zwei Mühlsteine geraten.
Nur ein halber Tag und eine Nacht, dachte sie, wäre die Zeit bloß erst vorüber!
Sie merkte, dass sie Kopfschmerzen bekam, als sie hinunterging, um Frederic davon in Kenntnis zu setzen, dass die beiden Fremden soeben im Stockwerk über ihm einzogen. Erwartungsgemäß reagierte er aggressiv.
»Das kann doch nicht wahr sein! Du hast sie wirklich hereingelassen? Und sie
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